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Razzien in den USA: "Dein Papa ist hier"

Foto: Gregory Bull/ AP

Einwanderungspolitik in den USA Wie eine Razzia Familien zerreißt

Die US-Einwanderungsbehörde sucht auch im Landesinneren nach illegalen Migranten. Die Folgen solcher Razzien sind selbst Monate später zu spüren - wie ein Team der Nachrichtenagentur AP dokumentiert.

Brandon Tomas Tomas hat ein Jahrzehnt gebraucht, um sich in den USA ein Leben aufzubauen: eine Frau, ein fester Job und fünf in den Staaten geborene Kinder. Es brauchte nur ein paar Sekunden, um ihm dieses Leben zu nehmen.

Ein Beamter der Einwanderungsbehörde, der eigentlich jemand anderen suchte, stellte ihm an seinem Arbeitsplatz eine harmlose Frage: "Como estás?" Wie geht es Ihnen? Dann fragte er, ob Tomas Papiere habe. Und im Nu befand sich der 33-jährige Guatemalteke in Handschellen, in Gewahrsam der United States Immigration and Customs Enforcement (ICE) - der US-Einwanderungsbehörde - und schließlich im Gefängnis.

Weinende Kinder an der Grenze zu Mexiko sind inzwischen zum Symbol für die harte Einwanderungspolitik von US-Präsident Donald Trump geworden. Doch auch mehr als 2000 Kilometer entfernt werden Familien auseinandergerissen: ICE-Einsatzkräfte nehmen bei Razzien Migranten fest, vielen von ihnen droht die Ausweisung.

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Razzien in den USA: "Dein Papa ist hier"

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Journalisten der Nachrichtenagentur AP berichten von den Folgen einer solchen Razzia im Dezember 2017 für die betroffenen Familien in fünf Städten im Norden des Bundestaates Kentucky. Laut ICE wurden innerhalb von zwei Tagen insgesamt 20 Männer und zwei Frauen aufgegriffen. Fünf von ihnen wurden AP zufolge wegen Vergehen in Zusammenhang mit illegalem Aufenthalt in den USA angeklagt, etwa der Verwendung gefälschter Dokumente, um Arbeit zu bekommen.

Einer der zwischenzeitlich Festgenommenen ist Edgar Perez Ramirez. In der Stadt Covington richtete er sich mit seiner Frau Carmelinda ein. Das Paar bekam zwei Kinder. Perez wurde bei der Razzia festgenommen. Sechs Wochen blieb er in Haft, eine Erfahrung, die besonders seinen Sohn Franco verängstigte. Auch mehrere Monate später verfällt der Junge in Panik, wenn sein Vater den Raum verlässt.

In einer konservativen Region eines konservativen Bundesstaates beschwerte sich kein Amtsträger nach den Razzien. Doch die Auswirkungen sind in den lokalen Kirchen, Unternehmen und Schulen zu spüren.

"Wir mögen Einwanderer, weil sie hart arbeiten"

Kerry McHugh, Sozialarbeiterin an einer Schule in Covington, berichtet von einem Viert- und einem Fünftklässler, deren Vater festgenommen wurde. Ihr sei in den Tagen nach der Razzia aufgefallen, dass die Familie fast nichts zu essen gehabt habe. Mit der Hilfe einer Freundin habe sie Hühnchen, Reis, Obst und Toilettenpapier besorgt.

Besonders den älteren Jungen habe die Situation sichtlich erschüttert, sagt McHugh. In einer Schulaufgabe wurde nach den Hoffnungen für das neue Jahr gefragt. Er wolle, dass sein Vater nach Hause komme, schrieb der Fünftklässler.

Südlich von Covington haben sich Fabriken und Lagerhallen angesiedelt. In einer dieser Hallen ist Rick Vaughn verantwortlich für 120 Angestellte, etwa 80 von ihnen stammen aus Guatemala, Mexiko und Puerto Rico. "Wir mögen Einwanderer, weil sie hart arbeiten", sagt Vaughn. Einer seiner besten Arbeiter war ein Mann, den er als Richard Rosario kannte.

28 Kündigungen in einer Firma

Rosario fehlte nie, sein Englisch war gut und er lernte neue Kollegen an. Aber Rosario heißt eigentlich Brandon Tomas Tomas - und flog bei der Razzia auf. Deren Auswirkungen waren enorm. Binnen zwei Tagen kündigten zwölf Mitarbeiter, 16 weitere folgten in den nächsten Wochen - aus Angst, ebenfalls festgenommen zu werden. Es kam zu Lieferschwierigkeiten im Weihnachtsgeschäft. Die Firma verlor Aufträge.

Er sei nicht glücklich darüber, dass Tomas ihn in die Irre geführt habe, sagt Vaughn. Aber: "Wenn es gesetzestreue, gute, hart arbeitende Menschen sind, sollten sie eine Chance in Amerika haben."

Viele Einwohner Kentuckys unterstützen eine härtere Einwanderungspolitik. Und die Einwanderungsbehörde verteidigt ihr Vorgehen. "Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Vater", sagt Thomas Homan, bis vor kurzem stellvertretender ICE-Direktor, angesichts der Notlage einiger Migranten. "Aber ich habe einen Job zu erledigen." Und illegale Einwanderer würden nun mal US-Gesetze missachten.

Viele Familien, in denen jemand festgenommen wurde, haben wenig Hoffnung, in den USA vereint leben zu können. Also denken sie über eine Zukunft außerhalb der Vereinigten Staaten nach.

So wie Alma Vazquez. Sie ist Mexikanerin - und die Frau von Brandon Tomas Tomas. Er bekannte sich vor Gericht schuldig, einen falschen Antrag auf Staatsbürgerschaft gestellt zu haben. Bis zu seiner Verurteilung im August bleibt er in Haft. Die fünf Kinder des Paares waren noch nie in Mexiko oder Guatemala. Aber für Vazquez zählt nur, dass sie ihren Mann zurückbekommt und die Familie zusammenbleibt.

bbr/wit/AP