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Sture Premierministerin Tesa May

Sie klebt an ihrem Amt: Seit Monaten versucht die britische Premierministerin, ihren Brexit-Kurs knallhart durchzudrücken. Dabei hat sie gravierende Fehler gemacht - aus Egoismus ignorierte sie Hinweise für ein Scheitern.
Theresa May

Theresa May

Foto: Frank Augstein/ dpa

Am Dienstagabend ist aus der britischen Brexit-Tragödie endgültig eine Farce geworden - zweieinhalb Jahre nach dem Leave-Votum der Briten und gerade einmal zweieinhalb Monate vor dem geplanten EU-Austritt des Landes. Die Abgeordneten des Unterhauses haben mit überwältigender Mehrheit gegen den Brexit-Deal gestimmt, den Premierministerin Theresa May vor einigen Wochen aus Brüssel mit nach Hause gebracht hat. Der gesamte Brexit-Prozess hängt damit in der Schwebe.

Die Schuld daran trägt vor allem eine Person: Theresa May. Sie hat mit etlichen Patzern und autoritärem Stil die Situation herbeigeführt, in der das Land gerade steckt.

Sehen Sie hier im Video, wie das Ergebnis verkündet wurde:

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Nach ihrer Ernennung zur Premierministerin nach dem EU-Referendum Mitte 2016 hat sich May monatelang nur vage dazu geäußert, was für einen Brexit sie sich vorstellt. Anfang 2017 dann verkündete sie plötzlich, dass ihr ein harter Brexit vorschwebt: Großbritannien solle raus aus dem europäischen Binnenmarkt und der Zollunion und nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs unterliegen, erklärte May damals . EU-Bürger hätten in Zukunft ebenfalls nicht mehr automatisch das Recht, nach Großbritannien zu ziehen.

Seitdem beharrt May darauf, die Briten hätten sich doch schließlich beim EU-Referendum für genau so einen Brexit ausgesprochen. Belege dafür hat sie keine. Mit diesem drastischen Schritt machte sie gegenüber der EU den Kurs klar, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen hatten.

Wie May den Streit innerhalb ihrer Partei entfachte

Wenige Wochen später setzte May den zweijährigen Austrittsprozess in Gang. Dabei herrschte damals weder in ihrem Kabinett noch in ihrer Partei Einigkeit über die Ziele oder die Strategie, die London bei den Verhandlungen mit der EU verfolgen sollte. Ihre Tories stürzte sie damit in interne Streitigkeiten, die bis heute anhalten. Mays dramatische Niederlage vom Dienstag ist eine direkte Folge dieser überhasteten Entscheidung.

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Fotostrecke: Das Scheitern des Brexit-Deals

Foto: Mark Duffy/ AP

Im April 2017 rief May dann vollkommen überraschend vorgezogene Neuwahlen aus. Dabei hatte sie davor monatelang beteuert, dass es genau dazu nicht kommen werde. In Umfragen lagen die Tories damals scheinbar uneinholbar weit vor der oppositionellen Labour-Partei. Einige Kritiker warfen May deswegen vor, sie versuche, die Opposition im Parlament und in ihrer Partei auszuschalten - und sich so zu einer Art Alleinherrscherin wählen zu lassen.

Wie May die vorgezogenen Neuwahlen verlor

Doch im Wahlkampf machte May alles falsch, was sie nur falsch machen konnte. Sie gab sich kühl und unnahbar, vermied es, mit den Bürgern zu sprechen, hatte auf Fragen immer nur dieselben Phrasen parat. Und sie nahm eine Reihe extrem unpopulärer Punkte ins Wahlprogramm auf, ohne diese zuvor mit ihrem Kabinett zu besprechen.

Als die Wahlen dann kamen, erhielt May die Quittung für ihr eigenmächtiges Handeln: Ihre Partei verlor die Mehrheit im Unterhaus und ist seitdem auf die zehn Abgeordneten der Democratic Unionist Partei (DUP) angewiesen, einer umstrittenen nordirischen Regionalpartei. Rücktrittsforderungen wegen der Wahlschlappe saß May einfach aus.

Video aus London zur Brexit-Abstimmung: Vereint im Groll auf May

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Deutliche Hinweise von EU-Politikern, dass Großbritannien wegen Mays "roter Linien" (Binnenmarkt, Zollunion, Europäischer Gerichtshof, Zuwanderung) weitreichende Abstriche beim Brexit-Deal hinnehmen werden müsse, ignorierte sie lange. Als sie diesen Umstand irgendwann im vergangenen Jahr akzeptiert zu haben schien, verschwieg sie das gegenüber den Abgeordneten. Viele von ihnen erkannten daher erst, als May ihren Brexit-Deal aus Brüssel nach Hause brachte, wie einschneidend die Einschränkungen waren, die ihr rigider Kurs gebracht hat.

Mays schwerwiegendster Fehler aber war es, dass sie versucht hat, die Abgeordneten aus dem Brexit-Prozess auszusperren. So versuchte sie zunächst, den Brexit im Alleingang und ohne eine Abstimmung im Parlament zu starten. Es bedurfte eines Urteils des obersten Gerichts des Landes , damit May die Abgeordneten darüber abstimmen ließ. Nur im Rahmen dieses Verfahrens erklärte sich die Premierministerin überhaupt dazu bereit, die Abgeordneten über den endgültigen Brexit-Deal abstimmen zu lassen.

Dabei ist in Großbritannien das Parlament der Souverän. Mays Verhalten in den vergangenen zweieinhalb Jahren trug damit die Züge einer Machtübernahme. Sie rechtfertigte ihr Vorgehen daher stets damit, dass sie "im Auftrag des britischen Volkes" handele. Kritikern ihres Brexit-Kurses warf sie vor, den Willen des Volkes zu übergehen.

Im vergangenen Monat dann überspannte May den Bogen endgültig. Eigentlich hätten die Abgeordneten bereits im Dezember über den Brexit-Deal abstimmen sollen. Doch als klar wurde, dass May definitiv unterliegen würde, verschob sie die Abstimmung einfach. Nicht nur das: Sie tat es in ihrer charakteristisch autoritären Weise und benutzte ein verfahrenstechnisches Manöver. Kritik daran ignorierte sie.

Als May dann am Dienstag die schwerste parlamentarische Schlappe in der modernen britischen Geschichte hinnehmen musste, ließ ihre Reaktion tief blicken. Die Abgeordneten des Unterhauses hatten gerade mit überwältigender Mehrheit gegen Mays zentrales politisches Projekt gestimmt. Viele Regierungschefs würden aus einer derartige bitteren Niederlage Konsequenzen ziehen und zurücktreten.

Nicht so May. Als sie nach der Abstimmung ans Rednerpult trat, wirkte sie empört. Die Abgeordneten hätten klargemacht, dass sie ihren Brexit-Deal nicht unterstützten, räumte May ein. "Aber die heutige Abstimmung sagt uns nichts darüber, was sie unterstützen", schimpfte sie dann.

Im Video: Britisches Parlament lehnt Mays Deal ab

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Auch sei unklar, wie und ob die Abgeordneten vorhätten, "die Entscheidung anzuerkennen, die das britische Volk in einem Referendum getroffen hat, das ihnen das Parlament gegeben hat", sagte May. Da war er wieder, der Volkswille.

Gab es irgendwelche Hinweise darauf, dass May erkannt hat, dass sie diese Situation mit ihrem autoritären Stil und mit ihren vielen Patzern selbst herbeigeführt hat? Keine Spur.

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