TV-Moderatorin im Maischberger-Talk: Wie Tietjen mit der Demenz ihres Vaters umging

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Foto: WDR/Max Kohr
Von: Josef Nyary

1,3 Millionen Deutsche brauchen wegen körperlicher oder psychischer Probleme einen Menschen, der sich um ihr Geld und ihre Rechte kümmert. Leider nutzen das immer wieder Gauner aus.

Sandra Maischberger schlug am Mittwochabend in der ARD Alarm: „Die Betreuungsfalle: hilflos, ausgenutzt, betrogen?“

Die Gäste

► Bettina Tietjen (59): Die NDR-Moderatorin spricht über die letzten Monate mit ihrem demenzkranken Vater.

► Annett Mau: Die Kriminaloberkommissarin jagt in Berlin Betreuungsbetrüger in einer bundesweit einzigartigen Fachdienststelle.

► Harry Hartwig (69): Sein hilfloser Vater wurde von einer Betreuerin abgezockt. 500 000 Euro sind weg!

► Christa Lange (72): Die Ex-Gastronomin musste sechs Jahre lang gegen eine ärztlich verordnete Zwangsbetreuung kämpfen.

► Cornelia Stolze (52), Wissenschaftsjournalistin, beschäftigt sich seit Jahren mit Demenz: „Die Diagnose wird oft zu schnell und zu Unrecht gestellt!“

Journalistin Cornelia Stolze

Journalistin Cornelia Stolze

Foto: WDR/Max Kohr

► Andrea Schwin-Haumesser: Die Expertin vom Verband der Berufsbetreuer sucht die Schuld an den miesen Abzockern auch beim Gesetzgeber.

Polizei, Presse, Profis, Betroffene: viel Stoff. Auch viel Zoff?

Tröstlichstes Beispiel

Tietjens Vater, Architekt in Wuppertal, drei Töchter, zeigt mit 82 Jahren typische Symptome: Schlüssel im Tiefkühlschrank, dreimal am Tag für 20 Euro zum Geldautomaten.

Schließlich lassen sich die Töchter eine Kontovollmacht und eine Betreuungsverfügung unterschreiben. Tietjen: „Das war für uns emotional schwerer als für ihn.“ Denn nun mussten sie auch über lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden.

Bewegendes Ende

„Er hat sich oft verschluckt und deshalb immer wieder eine Lungenentzündung bekommen“, berichtet die NDR-Moderatorin. „Bis wir nach langem Zögern beschlossen, dass er künstlich ernährt werden soll, über eine Magensonde.“

Es war die richtige Entscheidung: „Er ist aufgeblüht wie eine vertrocknete Topfpflanze, die plötzlich wieder begossen wird“, schildert Tietjen. „Und als es ein paar Monate später zu Ende war, ist er ganz friedlich gegangen.“

Schärfste Warnung

Doch: Selbst in solchen gut geregelten Fällen kann es „extreme rechtliche Probleme“ geben, warnt Kriminalpolizistin Mau. Denn die beste Verfügung nützt nichts, wenn es jemandem gelingt, das Opfer einer beginnenden Demenz insgeheim zum Widerruf zu überreden.

Betrüger schleichen sich ins Vertrauen alter Menschen und lassen sie einfach eine neue Verfügung unterschreiben. „Da genügt ein Text auf einem Bierdeckel“, warnt Mau. „Und dann versuchen Sie als Angehöriger mal, dagegen anzugehen!“

Kriminalpolizistin Annett Mau

Kriminalpolizistin Annett Mau

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Schlimmster Fall

Ex-Gastronomin Lange, einst bei der „Lufthansa“ im Catering, Epileptikerin, erlitt nach dem Tod ihres Lebensgefährten einen Zusammenbruch. Ärzte diagnostizierten Demenz, verschrieben falsche Medikamente und versetzten die Hilflose sogar für fünf Monate in ein künstliches Koma.

Als sie wieder erwachte, hatte ein Gericht für sie eine Betreuerin bestellt, die sofort ganze Arbeit geleistet hat: Wohnung weg, Möbel verramscht, Konto leer – für Miete und andere Kosten.

Sechs Jahre musste Christa Lange kämpfen, bis sie mithilfe von Freunden, eines Ex-Richters, einer Anwältin und einer Reporterin, die Betreuung wieder los wurde: „Von meinen Leben sind mir noch 148 Euro geblieben!“

Christa Lange

Christa Lange

Foto: WDR/Max Kohr

Die Talkmasterin will keinen juristischen Ärger, deshalb schweigt sie lieber über die Betreuerin und ihren Verein: „Wir lassen die Namen weg.“ Doch ihr Gast zieht da nicht mit: „Die haben 5000 Euro an mich gezahlt, nachdem ich die Sache publik gemacht hatte!“ funkt sie dazwischen. Zwei ihrer Betreuer seien gefeuert.

Zornigste Reaktion

„Mich macht es furchtbar wütend, dass immer noch niemand kontrolliert, wie sich ein rechtlicher Betreuer zu verhalten hat!“ platzt Expertin Schwin-Haumesser heraus. „Jeder kann ein solcher Betreuer werden. Ein Stempel genügt!“

„Das ist wirklich ein Skandal“ sagt Hartwig. Im Fall seines Vaters ermittelt inzwischen der Staatsanwalt.

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Erschütterndste Geschichte

Hartwig hatte durch eine Zeitungsanzeige eine Haushälterin für seinen 90-jährigen Vater gefunden, der einige Hundert Kilometer von ihm entfernt in Berlin lebte und schon etwas dement wirkte.

Kurz darauf fiel dem Sohn auf: Der Vater hatte eine andere Telefonnummer, kein Handy mehr, die Wohnung war leer, und von seinem Konto waren immer wieder hohe Beträge abgehoben worden.

Haarsträubende Rechtslage

Erklärung: Der alte Vater hat der Frau eine Vollmacht gegeben. Er stirbt in einem Altersheim, bevor der Sohn ihn noch einmal sehen kann. Die Haushälterin lässt sich nicht mehr sprechen. Ein halbe Million, ein Auto und ein Wochenendhaus sind futsch.

Der Sohn erstattet Anzeige, doch, so die Polizistin: „Die Chancen, dass Opfer das Geld wiedersehen, sind gleich Null. In solchen Fällen sind die Täter immer gleich vermögenslos, und die Beute ist irgendwo im Ausland."

Wichtigste Forderung

„Wenn Sie einen Betreuer für ein Angehörigen suchen, dann am besten über unseren Verband, denn bei uns sind sie zertifiziert: Vorkenntnisse, Fachausbildung, Fortbildung“, empfiehlt die Profi-Betreuerin.

Andrea Schwin-Haumesser

Andrea Schwin-Haumesser

Foto: WDR/Max Kohr

„Am besten setzen Sie in solchen Verfügungen immer gleich zwei oder mehr Verwandte ein“, rät die Polizistin und fordert: „Wir brauchen ein zentrales Register für solche Erklärungen, damit man in jedem Fall von Demenz sofort feststellen kann, ob die Betroffenen Vorsorge getroffen haben!“

Zitat des Abends

Polizistin Mau:

Geben Sie Ihr Geld selber aus, so lange Sie noch können!

Fazit: Empörende Fälle, wichtige Infos, nützliche Ratschläge. Das war ein Talk der Kategorie „Nahrhaft“.

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