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Russischer Angriffskrieg Energieanlage in Belgorod soll brennen, Verwirrung um angebliche Gefangennahmen

Im Grenzgebiet zur Ukraine soll ein Energiekomplex in Flammen stehen. Der ukrainische Präsident spricht von 485 toten Kindern seit Kriegsbeginn. Und: offene Fragen zu Gefangenenaustausch. Die jüngsten Entwicklungen.
Raketenbeschuss aus der russischen Region Belgorod auf die Ukraine (am 4. Juni)

Raketenbeschuss aus der russischen Region Belgorod auf die Ukraine (am 4. Juni)

Foto: Vadim Belikov / dpa

Was in den vergangenen Stunden geschah

In der russischen Region Belgorod ist nach Angaben des Gouverneurs der Region eine Energieanlage bei einem Drohnenangriff in Brand geraten. »In der Region Belgorod steht eine der Energieanlagen in Flammen. Die vorläufige Brandursache war ein Sprengsatz, der von einer Drohne abgeworfen wurde«, schrieb Wjatscheslaw Gladkow bei Telegram: »Es gab keine Verletzten.« Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Zugleich erklärte sich Gladkow zu Verhandlungen mit proukrainischen russischen Kämpfern bereit, die sich zu Angriffen in der Grenzregion bekannt hatten, um »unsere Leute« aus ihren Händen zu befreien. Die Äußerungen des Gouverneurs waren die erste Bestätigung von offizieller russischer Seite, dass proukrainische Kämpfer auf russischem Gebiet Gefangene gemacht haben.

Die Partisanen selbst erklärten, dass sie während eines grenzüberschreitenden Überfalls sieben russische Soldaten ergriffen hätten. Die Gruppe mit dem Namen »Russisches Freiwilligenkorps« teilt auf Telegram in einem Video mit, dass sie die Soldaten nun den ukrainischen Behörden übergeben wolle. Grund dafür sei, dass Gouverneur Gladkow nicht zu einem geplanten Treffen mit den russischen Partisanen erschienen sei. Bei diesem sollte es demnach um die Freilassung der russischen Soldaten gehen.

Die russische Grenzregion Belgorod liegt nach Angaben der dortigen Behörden seit Tagen unter Beschuss, mehrere Zivilisten wurden demnach getötet. Gladkow rief die Einwohnerinnen und Einwohner von Dörfern im Bezirk Schebekino auf, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Mehr als 4000 Menschen seien bereits in provisorischen Unterkünften in der Region untergebracht, teilte der Gouverneur weiter mit.

Internationale Reaktionen

An den Kämpfen in der Region Belgorod sind nach polnischen Medienberichten auch Polen beteiligt. Dabei handele sich um Söldner, die unter dem Namen »Polnisches Freiwilligenkorps« auf der Seite der ukrainischen Armee kämpften, berichteten die Onlinenachrichtenportale »Polsat News« und »Wprost« am Sonntag. Sie beriefen sich auf eigene Mitteilungen der Gruppe im Messagingdienst Telegram und ein Video, das Soldaten auf dem Weg in Richtung Belgorod zeigen soll.

DER SPIEGEL

Nach Informationen von »Polsat News« soll das »Polnische Freiwilligenkorps« im Februar gegründet worden sein. Anfangs habe es als nur aus Polen bestehende eigenständige Einheit an der Seite der ukrainischen Armee gekämpft. Inzwischen agiere die Truppe auch gemeinsam mit einem »Russischen Freiwilligenkorps«. Wie viele Polen beteiligt sein sollen, ging aus den Berichten nicht hervor.

Das sagt Kiew

Seit Beginn des Angriffskriegs sind laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mindestens 485 Kinder getötet worden. Es handele sich dabei ausschließlich um Opfer, deren Daten offiziell erfasst worden seien, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Ansprache. In Wirklichkeit liege die Zahl deutlich höher. Selenskyj verwies zudem auf die mehr als 19.500 ukrainischen Kinder, die ukrainischen Angaben zufolge aus besetzten Gebieten nach Russland deportiert worden seien. Bislang sei es erst in rund 370 Fällen gelungen, die »kleinen Ukrainer« zurückzuholen, sagte der Staatschef.

Wolodymyr Selenskyj (am 14. Mai)

Wolodymyr Selenskyj (am 14. Mai)

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Mit Blick auf Berichte über Deportationen ukrainischer Kinder hatte Mitte März dieses Jahres der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen Russlands Präsident Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa, erlassen. Der juristische Vorwurf lautet auf »Kriegsverbrechen«.

Selenskyjs sagte zudem, Russland umgehe internationale Waffensanktionen. Einige Länder und Unternehmen seien Russland dabei behilflich, Technologie mit dem Schwerpunkt Raketenproduktion zu erwerben. Russland hat seit dem vergangenen Oktober Hunderte Raketen auf ukrainische Ziele abgefeuert. Dem Angreifer gelinge es, mit einem Netzwerk an Lieferanten die Strafmaßnahmen zu umgehen.

Die Ukraine wisse über alle russischen Bemühungen zur Umgehung der Sanktionen Bescheid, so Selenskyj weiter. Kiew werde sicherstellen, dass es »keine Produkte der freien Welt in russischen Raketen gibt«. Im April hatte ein hochrangiger Berater Selenskyjs gesagt, dass die ukrainischen Streitkräfte eine zunehmende Zahl von chinesischen Bauteilen in russischen Waffen gefunden hätten, die in der Ukraine verwendet würden.

Aussagen aus Russland

Russische Streitkräfte haben nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums eine ukrainische Großoffensive in der südukrainischen Region Donezk vereitelt und Hunderte ukrainische Streitkräfte getötet. »Am Morgen des 4. Juni startete der Feind eine groß angelegte Offensive in fünf Sektoren der Front in Richtung Süd-Donezk«, teilte das Ministerium am Sonntag auf dem Nachrichtendienst Telegram mit. »Der Feind hat seine Ziele nicht erreicht, er hatte keinen Erfolg.«

Rund 250 ukrainische Soldaten seien den Angaben zufolge dabei getötet worden. Die ukrainischen Infanteriefahrzeuge sowie 16 Panzer und 21 gepanzerte Kampffahrzeuge seien zerstört worden. Das Ministerium veröffentlichte ein Video, das nach eigenen Angaben mehrere ukrainische Panzerfahrzeuge zeigt, die nach Beschuss auf einem Feld explodieren. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Von der Regierung in Kiew gab es zunächst keine Stellungnahme.

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, hat erneut schwere Vorwürfe gegen die reguläre russische Armee erhoben. Soldaten hätten Mitte Mai eine Straße vermint, auf der seine Kämpfer aus der mittlerweile eroberten ostukrainischen Stadt Bachmut hätten herausfahren wollen, teilte Prigoschin am Sonntagabend auf Telegram mit.

Er veröffentlichte auch ein Dokument, das ein Einsatzprotokoll von Mitte Mai darstellen soll und in dem zudem von Schusswechseln zwischen Wagner-Söldnern und Soldaten die Rede ist. Überprüft werden konnten diese Anschuldigungen nicht. Das Verteidigungsministerium in Moskau äußerte sich nicht.

Prigoschin hatte ähnliche Vorwürfe bereits vor wenigen Tagen erhoben. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) wertet sie als möglichen Versuch des 62-Jährigen, durch den Streit mit dem Verteidigungsministerium von kürzlich aufgekommenen Spannungen zwischen seiner Truppe und Kämpfern von Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow abzulenken.

Mehr als 15 Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine toben in Russlands Militärführung Machtkämpfe, die deutlich zutage treten. Immer wieder wetterte Prigoschin zuletzt gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dem er schlechte Kriegsführung und eine mangelhafte Versorgung der Wagner-Kämpfer mit Munition vorwarf.

Was heute passiert

  • Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) starten an diesem Montag einen dreitägigen Besuch in Brasilien. In Baerbocks Gesprächen dürften der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Themen Klima und Umwelt im Mittelpunkt stehen. Zusammen mit Heil will sie sich in Südamerikas größtem Land auch um die Anwerbung von Pflegekräften bemühen.

jok/dpa/Reuters