Zum Inhalt springen

"Anne Will" zur Energiewende Auf Zickzackkurs ins Nirgendwo

Die Regierung kassiert den Kompromiss zum Kohleausstieg - Anlass für Anne Wills Frage: "Werden die Milliarden richtig investiert?" In ihrer Runde ging es um Naturgesetze, Ängste und einen "Akt der Unmenschlichkeit".
Moderatorin Will (3.v.r.) mit ihren Gästen: "Klimaschutz und Kohleausstieg - werden die Milliarden richtig investiert?"

Moderatorin Will (3.v.r.) mit ihren Gästen: "Klimaschutz und Kohleausstieg - werden die Milliarden richtig investiert?"

Foto: Wolfgang Borrs/ NDR

In der Politik kann es schon mal vorkommen, dass ein mühsam ausgehandelter Kompromiss unter die Räder kommt. Der Kompromiss, den die 28-köpfige Kohlekommission zum Ausstieg aus den fossilen Energien gefunden hat, kommt nicht unter die Räder. Er kommt, wie es aussieht, unter den Kettenantrieb einer dieser monumentalen Schaufelradbagger, die in der Lausitz oder in Nordrhein-Westfalen ganze Landschaften verschlucken.

Mit dem Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier zum Kohleausstieg wird er hinfällig, dieser Kompromiss. Viel Geld an Entschädigungen für die Betreiber, zudem wird mit Datteln 4 sogar ein neues Kraftwerk zur Steinkohleverstromung ans Netz gehen.

Kritikerinnen wie Antje Grothus, die als Aktivistin selbst in der Kommission saß, fühlen sich verschaukelt. Es würden "auch in Zukunft Landschaften und Dörfer zerstört werden", sagte sie nun in der Talkshow von Anne Will zum Thema "Klimaschutz und Kohleausstieg - werden die Milliarden richtig investiert?" Der gesellschaftliche Konsens sei in Gefahr, so Grothus.

Das sieht Sebastian Lachmann anders. Der Industriekaufmann aus einer "Bergbau- und Kraftwerksfamilie" in der Lausitz meint, man müsse das Thema "auch ein Stück weit von einer anderen Perspektive betrachten". Seine ist jene der Versorgungs- und Planungssicherheit. Und die Erderwärmung? "Die Angst habe ich nicht."

Eine Einschätzung, die Anton Hofreiter nicht teilt: "Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, die Naturgesetze anzuzweifeln." Bei der Kohle für die Kohleindustrie handele es sich in Wahrheit um Gelder, "um die Kraftwerke" nicht stillzulegen, sondern "weiterbetreiben zu können". Der Businessplan der in der Lausitz engagierten Leag, wie ihn der SPIEGEL publik machte , legt das nahe. Das Unternehmen kassierte Milliarden für das Abschalten von Kraftwerken, die ohnehin vom Netz gegangen wären. Gutes Geschäft. 

Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, will das nicht feiern. Es gebe auch gar "keinen Champagner" im Verband. Aber zu dem vielen Geld kann sie etwas sagen: "Das Ganze kostet 50 Milliarden Euro", und rechnet vor: 40 Milliarden seien Strukturhilfen, fünf Anpassungsgelder für Personal und Renten, der Rest gewissermaßen bürokratische Bearbeitungsgebühren - und Entschädigung für die Unternehmen.

Ausgehandelt von einer "Kungelrunde", wie Antje Grothus bedauert. Reiner Haseloff, CDU, will das als am Gesetzentwurf beteiligter Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt nicht auf sich sitzen lassen. Das sei "keine Kungelrunde", das sei "Arbeitszeit" gewesen und im Übrigen ein feiner Kompromiss. Auf Basis des Kompromisses, sozusagen ein Kompromiss zweiter Ordnung.

"Meine Grünen", sagt Haseloff, seine Grünen "beispielsweise akzeptieren den Pfad". Hofreiter sieht das anders, Haseloff beharrt. Er kennt doch seine Grünen. Gesellschaftlicher Konsens? "Gucken Sie sich die Reviere an, die haben alle blaue Farben", weil da nämlich die AfD um sich greife.

"Sie können davon ausgehen", beteuert Haseloff, immerhin Doktor der Physik, "dass Energiewirtschaft ein hohes Ziel ist", worauf Anne Will sofort einhakt: "Was ist denn Ihr höchstes Ziel?" Haseloff spricht von einem Viereck, einem parallel zum Ausstieg verlaufenden Einstieg in Erneuerbare, vor allem aber vom sozialen Frieden und suggeriert: den habe im Auge zu behalten, wer politische Entscheidungen treffe. 

Hofreiter stellt fest, dass man nichts höre von der Zerstörung "zukunftsfähiger Arbeitsplätze" in der Industrie für Wind und Sonne - allesamt darbende oder gar moribunde Branchen, wofür er "den Zickzackkurs der Bundesregierung" verantwortlich macht. Für einen perplexen Moment ist sich die komplette Runde einig, weil eben niemand von der Bundesregierung da ist.

Marie-Luise Wolff bemüht sich um Optimismus. Sieben Monate habe man nur gebraucht für den Kohleausstieg. Für den Atomausstieg habe es 30 Jahre und ein Unglück in Japan gebraucht.

Antje Grothus genügt das nicht. Weiter die Landschaft zu vernichten, das sei "ein Akt der Unmenschlichkeit". Für Kohlefreund Lachmann ist das "ein Opfer", das für die Energieversorgung des Landes eben zu bringen sei. Erneuerbare Energie reiche "in diesem Moment nicht, wo wir hier unsere Sendung machen".

Tatsächlich kommt an diesem windstillen Abend gegen 22.40 Uhr die Frage auf, wie denn wohl gegenwärtig der Strom erzeugt werde. Photovoltaik? Windkraft? Gar nicht so absurd. Zu den - konkurrenzlos günstigen - Erneuerbaren, in die unbedingt eingestiegen werden müsse, gehört auch avancierte Speichertechnik.

Darauf wird leider nicht näher eingegangen. Auch nicht auf die exorbitanten gesellschaftlichen wie finanziellen Folgekosten des Klimawandels. Und das in einer Sendung, in der ansonsten sehr viel über den "sozialen Frieden" geredet wurde. Und über Geld.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass es sich bei Datteln 4 um ein Braunkohlekraftwerk handele. Wir haben den Fehler korrigiert.