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Rassismus in Deutschland und den USA Gemeinsamer Schmerz

Der Tod des US-Amerikaners George Floyd treibt auch schwarze Deutsche auf die Straßen. Sie fühlen, dass hinter dem Fall ein größeres Problem liegt - gegen das aber immer noch viel zu wenig getan wird.
Demonstrant in Berlin am 31. Mai

Demonstrant in Berlin am 31. Mai

Foto: Omer Messinger/ imago images/ZUMA Wire

Yasmin Kahumuza ist 18 Jahre alt, studiert Lehramt in Saarbrücken und findet, sie habe lange genug geschwiegen. Als sie das Video vom Tod des US-Amerikaners George Floyd sah, beschloss sie zu handeln. "Saarbrücken kann man nicht mit Minneapolis vergleichen", sagt sie. "Aber das Problem dahinter betrifft uns alle: rassistisches Gedankengut."

Also organisierte sie eine Demonstration, so wie viele andere schwarze Menschen in vielen deutschen Städten. Am Samstag sollen bundesweit Kundgebungen stattfinden. Der Tod George Floyds bewegt nicht nur die US-amerikanische, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit. Floyd starb nach einem Polizeieinsatz, den Zeugen gefilmt hatten. Das Video ging um die Welt.

DER SPIEGEL

"Ich finde es krass, das so etwas im Jahr 2020 immer noch passiert", sagt Kahumuza. Doch mit der Demonstration will sie auch auf Probleme in Deutschland aufmerksam machen. Es gebe noch immer Menschen, die sagten, es gebe hier keinen Rassismus. "Die Leute erkennen unseren Schmerz nicht an", sagt sie. Auch in Deutschland gebe es Fälle von rassistischer Polizeigewalt.

Wie viele, das ist nicht genau erfasst. Auch eine Statistik zu Todesfällen in polizeilichem Gewahrsam führen weder das Statistische Bundesamt noch das Bundesinnenministerium oder das Bundeskriminalamt.

Aktivisten versuchen, sich der Frage zu nähern: Die Initiative "Death in Custody" arbeitet an einem Bericht darüber, wie viele von Rassismus betroffene Menschen in Gewahrsamssituationen oder durch Polizeischüsse gestorben seien. Dafür wertet sie unter anderem Berichte von Medien, Behörden und Ministerien sowie parlamentarische Anfragen aus. Allerdings fassen die Aktivisten den Begriff "Gewahrsam" sehr weit und zählen unter anderem auch Todesfälle in Psychiatrien und auf Abschiebeflügen dazu, zum Teil auch Suizide. So kommen sie nach eigenen Angaben seit 1993 auf mehr als 170 Fälle.

Bei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) gibt man sich sicher: Die Frage, ob der gewaltsame Tod von George Floyd in den USA und die damit verbundene Polizeistrategie so auch in Deutschland möglich wären, beantworte man mit einem klaren Nein, heißt es in einer Stellungnahme. Man setze bei kritischen Situationen auf Deeskalation, dazu gebe es "Anti-Konflikt-Teams".

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Meist ohne Folgen

Und doch gibt es auch hierzulande übertriebene Gewalt von Polizisten. Der Bochumer Wissenschaftler Tobias Singelnstein hat sie erforscht. Sein Fazit: Offizielle Zahlen bilden nur einen kleinen Ausschnitt der Realität ab. Es gebe mindestens fünfmal mehr Verdachtsfälle von Polizeigewalt, als die Statistik anführe.

2018 habe es gut 2000 Verfahren wegen offenbar rechtswidriger Polizeigewalt gegeben, in 23 davon sei Anklage erhoben worden, in 17 ein Strafbefehl ergangen. Die Vorwürfe blieben somit laut Singelnsteins Zahlen für Polizisten meist ohne Folgen.

David Schneider-Addae-Mensah kann das bestätigen. Er ist ein schwarzer deutscher Rechtsanwalt und lebt in Karlsruhe. Er sagt, er habe schon mehrere Menschen vertreten, die angeben, Gewalt von Polizisten erlebt zu haben. Und er habe auch schon selbst Anzeigen erstattet, weil er sich als Opfer sah - immer ohne Erfolg.

Es gab eine Zeit, da wollte Schneider-Addae-Mensah selbst Polizist werden. Er sang im Polizeichor, kannte den Polizeipräsidenten. Er studierte Jura in München, das erste Staatsexamen hatte er schon absolviert. Eine Karriere im höheren Dienst - ja, das wäre eine Option gewesen.

Bis zu jenem Tag im November 1997.

Was damals geschah, nennt er "Initialvorfall". In der Münchner U-Bahn sei er von Polizisten kontrolliert worden, die seinen Ausweis sehen wollten, offenbar waren sie einem Drogendealer auf der Spur. Schneider-Addae-Mensah sagt, sein Ausweis habe in der Staatsbibliothek gelegen, wo er ihn eingeschlossen habe.

"Für mich ist eine Welt zusammengebrochen"

Im weiteren Verlauf der Kontrolle habe er sich mit gespreizten Beinen an die Wand stellen müssen. Dagegen habe er sich gewehrt, woraufhin die Polizisten ihm Handschellen angelegt hätten. Ein Kommilitone und Professoren hätten ihn so gesehen. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen", sagte der Jurist heute. Er ist sicher, dass die Polizisten ihn wegen seiner Hautfarbe anders behandelten.

Er findet: Wer über Rassismus und Polizeigewalt spreche, dürfe nicht nur in die USA blicken. "Wir haben solche Fälle in Deutschland, nur hier regt sich keiner darüber auf. Alle gucken auf den bösen Herrn Trump. Das ärgert mich", sagte Schneider-Addae-Mensah.

Polizeigewalt sei in den USA sehr viel massiver, so Kriminologe Singelnstein. Es gebe dort "einen riesengroßen Bereich Law Enforcement", mit einer anderen Macht und gesellschaftlichen Bedeutung als hierzulande. Auch die Ausbildung sei völlig anders, in der Regel dauere sie in den USA nur wenige Monate - in Deutschland hingegen sei sie wesentlich fundierter und umfassender.

Washington: Ein Polizist beobachtet Proteste nach dem Tod George Floyds

Washington: Ein Polizist beobachtet Proteste nach dem Tod George Floyds

Foto: SHAWN THEW/EPA-EFE/Shutterstock

Der Blick in die USA sei dennoch hilfreich: Das Land illustriere, wohin Entwicklungen führen könnten, die es auch in Deutschland gebe. Singelnstein nennt etwa eine mangelnde Fehlerkultur. Oder die zunehmende Aufrüstung: "Die Bundesländer haben neue Panzerwagen angeschafft, Taser werden flächendeckend kommen."

Michael Schütte arbeitet seit gut 20 Jahren in Führungspositionen bei der Hannoveraner Polizei. Auch er beobachtet eine "mentale und materielle Aufrüstung". Schütte glaubt nicht, dass es einen verbreiteten Rassismus in der Polizei gebe. Dennoch ist er der Auffassung, im Handeln der Polizei bestehe das Problem der "ethnozentrischen Verdachtsschöpfung".

Das heißt: Menschen geraten unter Umständen wegen ihres Erscheinungsbildes in Verdacht. "Racial Profiling" ist der Fachbegriff für anlasslose Kontrollen, etwa wegen der Hautfarbe. Wie oft es vorkommt, ist nicht erfasst. Von Januar 2018 bis April 2019 registrierte die Bundespolizei 58 Beschwerden. Ein Sprecher des Innenministeriums sagt, gemessen an der Zahl der Bundespolizisten und der Zahl der Kontrollen handle es sich um "Einzelfälle".

Fachleute erklären die niedrigen Zahlen damit, dass es in Deutschland kaum unabhängige Beschwerdestellen gibt. Bernhard Franke ist der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Er sagt, es müsse in allen Bundesländern Polizeibeauftragte geben, so wie in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein.

Vor Gericht hätten einzelne Betroffene mit Klagen wegen Racial Profling zwar bereits Erfolg gehabt. Allerdings: "Das mag für den Betroffenen eine Genugtuung sein, aber ehrlicherweise muss man sagen, dass so ein Urteil bisher kaum Rechtsfolgen hat, etwa im Sinne einer Entschädigung für die erfahrene Diskriminierung", sagt Franke.

Zumindest in Berlin könnte sich das ändern. Das Abgeordnetenhaus verabschiedete vergangenen Donnerstag das Landesantidiskriminierungsgesetz . Es ist das erste Landesgesetz dieser Art. Wer sich durch Behörden diskriminiert sieht, kann sich künftig leichter wehren - auch bei Racial Profiling. Das Gesetz sieht Schadensersatz und Entschädigungen vor.

Berlins grüner Justizsenator Dirk Behrendt sagte dem RBB, es bedrücke ihn, wenn schwarze Bekannte schilderten, von der Polizei häufiger als Weiße kontrolliert zu werden. Die Praxis habe "leider in Einzelfällen" auch mit Ressentiments zu tun.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)

Foto: Kitty Kleist-Heinrich/ imago images / tagesspiegel

Polizeigewerkschaften kritisierten das Gesetz. Im Fokus steht dabei die "Vermutungsregelung": Bei Diskriminierungsverdacht muss eine Behörde darlegen, warum keine Diskriminierung vorliegt. Das soll die Beweisführung für Betroffene erleichtern. "Wir müssen hinter der Polizei stehen und dürfen sie nicht unter Generalverdacht stellen", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dem "Tagesspiegel".

Senator Geisel betonte im RBB, die Beweislast werde nicht umgekehrt. Erst wenn nach richterlicher Überzeugung glaubhafte Tatsachen für eine Diskriminierung vorlägen, müsse die betroffene Behörde das widerlegen. Gerade bei Diskriminierungsrecht sei eine derartige Beweislasterleichterung ein "sehr probates Mittel", weil in der Regel nicht offen, sondern subtil diskriminiert werde.

"In Deutschland leben über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft, viel mehr wissen wir bislang nicht"

Politologe Daniel Gyamerah

Der Politologe Daniel Gyamerah begrüßt das neue Gesetz: "Es ist ein kleiner Etappensieg, damit sich auch schwarze Menschen, wenn sie von der Polizei aus rassistischen Gründen, also ohne Anhaltspunkte, die über rassistische Zuschreibungen hinausgehen, kontrolliert werden, besser wehren können."

Wie stark schwarze Menschen von Diskriminierung betroffen sind, ist bislang kaum erforscht. Überhaupt ist über die Community wenig bekannt: "In Deutschland leben über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft, viel mehr wissen wir bislang nicht", sagt Gyamerah.

Der Forscher betreibt mit dem Projekt "Afrozensus " quasi Grundlagenforschung. In einer Onlineumfrage können die Teilnehmer Fragebögen ausfüllen zu Alter, Geschlecht, Geburtsort, Beruf, Einkommen oder Diskriminierung. Das Projekt soll in diesen Tagen starten. Gyamerah: "Das soll ein erster Aufschlag sein, um überhaupt mal zu erfahren, wie es schwarzen Menschen in Deutschland geht, wer sie sind und wie sie hier leben."

Mit Material der Agenturen

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