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Ausschreitungen bei Protesten Der Krisenverschärfer

Amerika droht im Chaos zu versinken. Profitieren könnte von den Protesten im Land ausgerechnet Präsident Donald Trump, der keine Gelegenheit auslässt, die Nation zu spalten.
Eine Analyse von Ralf Neukirch, Minneapolis
Foto: YURI GRIPAS/ REUTERS

In der Innenstadt von Philadelphia sind Geschäfte verwüstet, in Chicago brennen Autos, in Los Angeles rangeln Demonstranten mit der Polizei. Teile von Minneapolis sehen aus, als habe die Stadt gerade einen Fliegerangriff erlebt. Die Proteste in den USA gegen die Polizeigewalt ebben nicht ab. In der Nacht zum Sonntag haben wieder Zehntausende demonstriert, eine Minderheit ihrerseits mit Gewalt. Zahlreiche Städte haben Ausgangssperren verhängt.

Anlass ist der Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis. Ein Polizist hatte sein Knie auf den Hals des wehrlosen Mannes gedrückt und auch nicht abgelassen, als dieser kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Es ist eine gefährliche Situation für das Land. Der Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, hat sich weiter vertieft. Das Coronavirus und die Ereignisse der vergangenen Tage haben das für alle sichtbar gemacht.

Das ist keine vorübergehende Erschütterung. Die USA stecken in einer existenziellen Krise. Das Land braucht jetzt einen politischen Führer, der die Nation beruhigt und zusammenführt. Stattdessen hat es Donald Trump.

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Amerika brennt

Foto: PATRICK T. FALLON/ REUTERS

Noch nie in seiner jüngeren Geschichte hatte Amerika einen Präsidenten, der von Charakter, Temperament und Intellekt so ungeeignet war, sein Land aus der Misere zu führen. Trump ist nicht die Ursache aller Probleme, die die USA plagen. Aber er verschärft sie, statt sie zu lösen.

Trump selbst sät ständig Hass und Chaos

"Ich stehe vor Ihnen als Freund und Verbündeter jedes Amerikaners, der nach Gerechtigkeit und Frieden strebt", sagte Trump am Samstag. Er sei aber gegen jene, die diese Tragödie ausnutzen wollten, um zu plündern oder zu bedrohen. "Heilung statt Hass und Gerechtigkeit statt Chaos sind der Auftrag, den es zu erfüllen gilt."

Das wären angemessene Worte, wenn Trump nicht selbst ständig Hass und Chaos säte. Er bedauerte einerseits den Tod Floyds. Gleichzeitig benutze er die Worte eines rassistischen Polizeichefs, als er auf Twitter drohte: "When the looting starts, the shooting starts" - wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen. Twitter markierte diese Worte als "gewaltverherrlichend".

Der Präsident forderte nicht nur, "die unbegrenzte Macht des Militärs" gegen die Demonstranten einzusetzen. Er appellierte auch an seine eigenen Anhänger, sich zu versammeln: "Ich höre, heute Nacht MAGA-Nacht vor dem Weißen Haus???"  MAGA ist die Abkürzung für Trumps Slogan "Make America Great Again". Zur Beruhigung tragen solche Tweets nicht bei.

Trump ist nicht für alles verantwortlich, was sich in den USA ereignet. Die Tötung unschuldiger Schwarzer durch Polizisten ist ein Phänomen, das es schon lange vor seiner Präsidentschaft gab. Die Bewegung "Black Lives Matter" entstand, als Barack Obama das Land führte. In Ferguson in Missouri kam es 2014 zu gewaltsamen Demonstrationen, nachdem ein Polizist einen unbewaffneten Schwarzen erschossen hatte.

Auch Covid-19 ist nicht Trumps Schuld. Dank verantwortungsvoll handelnder Gouverneure hat Amerika das Virus sogar bislang besser im Griff als eine Reihe von europäischen Ländern. Aber Trump hat es geschafft, eine ohnehin schwierige Situation zu verschlimmern. Er hat nicht versucht, die Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung abzubauen. Er hat sich lieber mit weißen Rassisten gemein gemacht.

Trumps Politik verstärkt bestehende Ungleichheiten

Als 2017 in Charlottesville Demonstranten gegen einen Aufmarsch von Rechtsradikalen protestierten, sprach er von "sehr guten Leuten, auf beiden Seiten". Um Versöhnung ging es ihm nie. Wenn es ihm politisch nützte, schürte er Ressentiments gegen Minderheiten wie die mexikanischen Einwanderer. Seine Politik verstärkt bestehende Ungerechtigkeiten. Nirgendwo wurde das so deutlich wie in der Coronakrise.

Die Zahl der Afroamerikaner, die an dem Virus sterben, liegt deutlich über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig arbeiten sie überproportional in Berufen, in den die Gefahr, sich anzustecken, besonders groß ist. Doch statt zu helfen, unternimmt der Präsident das Gegenteil. Trotz der Viruskatastrophe bleibt es sein erklärtes Ziel, die Gesundheitsreform seines Vorgängers Obama zurückzudrehen. Das würde Zehntausende Amerikaner ihre Krankenversicherung kosten, darunter viele Schwarze.

Wie man als Politiker auch anders agieren kann, demonstrierte vor rund 52 Jahren Robert Kennedy. Kurz vor einer Wahlveranstaltung in Indianapolis am 4. April 1968 erfuhr er von der Ermordung Martin Luther Kings. Trotz Bedenken seiner Sicherheitsleute stellte er sich vor die Menge. Er sprach von seiner Erschütterung und davon, dass Amerika statt Spaltung, Hass und Gewalt Weisheit und Mitgefühl brauche. In mehr als hundert amerikanischen Städten brachen Unruhen aus, in Indianapolis blieb es ruhig.

Trump könnte, selbst wenn er wollte, Spaltung und Hass in der amerikanischen Gesellschaft nicht im Alleingang überwinden. Aber er könnte versuchen, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Er setzt lieber auf Konfrontation. Er führe einen Krieg gegen Corona, hat er gesagt. Tatsächlich führt er immer neue Attacken gegen die eigene Bevölkerung an. Politisch könnte seine Rechnung aufgehen. Schuld daran trägt ein kleiner Teil der Demonstranten.

Viele Bürger, die das Anliegen der Protestierenden teilen, lehnen die damit einhergehende Gewalt ab. Das Plündern kleiner Läden, die Beschädigung von Bibliotheken, das Abfackeln von Restaurants schadet den Leuten, um deren Belange es den Demonstranten geht. Weitere Ausschreitungen könnten die Stimmung kippen lassen.

Eine Mehrheit der Amerikaner sehnt sich nach Ruhe. Ausgerechnet Trump, der das Gesetz nur nach seinen Bedürfnissen interpretiert, könnte sich als Politiker inszenieren, der Recht und Ordnung wiederherstellt.

Es wäre eine böse Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet die Proteste gegen Polizeigewalt Trumps Chancen auf eine Wiederwahl verbesserten.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, die rechtsextremen Demonstrationen in Charlottesville hätten 2016 stattgefunden. Sie fanden jedoch ein Jahr später statt.