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Umstrittenes Staatsbürgerschaftsgesetz Modis Gottesstaat

Indien erlaubt Minderheiten künftig die schnellere Einbürgerung - mit einer großen Ausnahme: Muslimen. Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz verstärkt Ängste, dass Premier Narendra Modi aus einem säkularen Land einen Hindu-Staat machen will.
Befürworter des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes in Neu-Delhi

Befürworter des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes in Neu-Delhi

Foto: Anushree Fadnavis/ REUTERS

Wer gehört dazu - und vor allem: wer nicht? Das ist die Frage, die das indische Parlament diese Woche debattierte und die Antwort fiel deutlich aus: Wer wie schnell Inder werden darf, darüber entscheidet zum ersten Mal die Religion.

Das Oberhaus hat ein neues, hoch umstrittenes Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet. Die Änderung erleichtert Hindus, Sikhs, Christen, Buddhisten, Jains und Parsen, die vor 2014 aus Pakistan, Bangladesch oder Afghanistan geflohen sind und sich irregulär im Land aufhalten, die Einbürgerung. Also fast jeder religiösen Minderheit Südasiens, mit einer großen Ausnahme: den Muslimen.

Angehörige des Islams müssen nach wie vor elf Jahre auf ihre Staatsbürgerschaft warten; für alle anderen gelten schon bald nur noch sechs Jahre. Im Nordosten des Landes, an der Grenze zu Bangladesch, kam es daraufhin zu gewaltsamen Protesten.

Premier Narendra Modi twitterte, das Gesetz "lindere das Leid all derer, die jahrelang Verfolgung fürchten mussten." Indien, so will die Regierung es verstanden wissen, erfülle seine moralische Verantwortung, indem es zum sicheren Hafen für verfolgte Minderheiten wird. Muslime würden ausgenommen, da sie in den ausgewählten Ländern keine Diskriminierung fürchten müssten.

Eine Reihe von Fragen lässt die Regierung dabei allerdings unbeantwortet: Wenn es tatsächlich darum geht, Minderheiten zu schützen, warum dann nicht auch solche aus Nachbarländern wie China und Myanmar, wo Hunderttausende muslimische Uiguren und Rohingya derzeit vor Vertreibung und Folter flüchten müssen? Und sollte bei der Auswahl der Länder auf die Teilung und Historie Indiens Bezug genommen worden sein, wie der Innenminister argumentiert, warum steht dann auch Afghanistan auf der Liste und nicht nur Bangladesch und Pakistan?

Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz (im Bundesstaat Assam)

Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz (im Bundesstaat Assam)

Foto: Anupam Nath/ AP

Die Auswahl der Länder und Bevölkerungsgruppen lässt Kritiker fürchten, dass es der Regierung um etwas anderes gehen könnte. Oppositionsführerin Sonia Gandhi nannte das Gesetz "den Sieg engstirniger und fanatischer Kräfte".

Die beiden Politikwissenschaftler Christophe Jaffrelot und Sharik Laliwala schreiben im "Indian Express", das Gesetz sei Teil "von Modis Kampagne, Indien in eine offenkundige Hindu-Nation zu verwandeln." Und die United States Commission on International Religious Freedom der Vereinigten Staaten fordert gar Sanktionen gegen Innenminister Amit Shah.

Ein Sprecher des indischen Außenministeriums wies die Vorwürfe als "weder richtig noch gerechtfertigt" zurück. "Die Initiative sollte von jedem, der sich aufrichtig religiöser Freiheit verschrieben hat, willkommen geheißen und nicht kritisiert werden."

Der Vorwurf insgeheim eine anti-muslimische Agenda zu verfolgen, umgibt die Regierung Modis schon seit Amtsantritt im Jahr 2014. Modi und seine Partei, die BJP, sind Hindu-Nationalisten. In ihren Augen ist Indien die einzige Heimat der Hindus und muss sich auch als solche verstehen. Die 200 Millionen Muslime im Land, immerhin die drittgrößte Gemeinschaft der Welt nach Indonesien und Pakistan, sind willkommen, solange sie sich an die Regeln der hinduistischen Mehrheit halten.

Seit seiner Wiederwahl im Mai hat Modis Regierung einiges unternommen, um die angebliche Bevorzugung rückgängig zu machen:

  • Anfang August entzog Neu-Delhi dem einzigen mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir die Autonomie.
  • Seit vier Monaten ist das Internet in der Region abgeschaltet und lokale Politiker befinden sich in Haft.
  • Vor einem Monat erlaubte der Oberste Gerichtshof, dass an einer heiligen Stätte in Ayodhya ein Tempel gebaut werden dürfe. Hindu-Extremisten hatten dort 1992 eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert niedergerissen.

Auch das Staatsbürgerschaftsgesetz gehört zu den Forderungen der Hindu-Nationalisten. Es wird allerdings erst in Kombination mit einem anderen Vorhaben wirklich relevant.

Der Innenminister hat angekündigt, dass alle Inder bis 2024 ihre Staatsbürgerschaft beweisen müssen, um illegale Einwanderer ausfindig zu machen. Ein ähnliches Unterfangen gab es bereits im Bundesstaat Assam. Dort waren 33 Millionen Bewohner aufgefordert gewesen, Dokumente herbeizuschaffen, die ihre Abstammung belegen.

Fast zwei Millionen Menschen scheiterten und befinden sich seit diesem Jahr am Rande der Staatenlosigkeit. Innenminister Shah hat versprochen, niemand müsse sich dank des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes Sorgen machen. Die einzigen, die er nicht erwähnte, waren Muslime.

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