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Sorge um die US-Briefwahl Die Post ist geliefert

Millionen Amerikaner könnten wegen der Coronakrise bei der US-Wahl per Brief abstimmen. Eine große Aufgabe für die heruntergewirtschaftete US-Post - doch der neue Postmaster General ist ausgerechnet ein treuer Unterstützer Trumps.
Von Marc Pitzke, New York
Unzuverlässige Boten: Der United States Postal Service (UPSP)

Unzuverlässige Boten: Der United States Postal Service (UPSP)

Foto: J. Scott Applewhite/ AP

Der Name Louis DeJoy sagt nur wenigen Amerikanern etwas. Dabei ist er einer der großzügigsten Geldgeber der US-Republikaner. Seit 2019 hat er fast 1,5 Millionen Dollar  an die Partei und ihre Kandidaten gespendet, allen voran Donald Trump. Die höchste Einzelsumme ging im Februar beim Wahlkomitee des Präsidenten ein: 210.600 Dollar.

Elf Wochen später machte Trump ihn zum neuen Chef des United States Postal Service (USPS), der staatlichen US-Post.

Großspender werden unter Trump gern mal Minister (Steven Mnuchin), Botschafter (Woody Johnson) - oder eben Postmaster General, wie das Amt seit 1775 heißt, als US-Gründungsvater Benjamin Franklin die ersten kolonialen Postkutschen befehligte.

Großspender mit heiklem Auftrag: US-Postchef Louis DeJoy

Großspender mit heiklem Auftrag: US-Postchef Louis DeJoy

Foto: Kim Walker/ AP

Bei Louis DeJoy steckt aber offenbar noch mehr dahinter als der übliche Nepotismus. Denn bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen dieses Jahres spielt die Post plötzlich eine zentrale Rolle: Dank der Coronakrise könnten Millionen Amerikaner per Briefwahl abstimmen.

Trump diskreditiert die Post, DeJoy verlangsamt die Zustellung

Doch statt die seit Langem überforderte Behörde auf diese enorme Herausforderung vorzubereiten, hat DeJoy sie bislang nur weiter geschwächt, etwa indem er den Briefträgern Überstunden untersagte und so die Zustellung verlangsamte.

Kritiker glauben, dass DeJoy das auf Geheiß Trumps tut, der gerade mit mehreren Tricks versucht, seine Chancen bei der Wahl zu verbessern . Zum Beispiel eben die Briefwahl: Die würde Trump am liebsten ganz verbieten, da er glaubt, dass eine höhere Wahlbeteiligung den Demokraten nutzt.

Da er das aber nicht so einfach tun kann, diskreditiert er die Briefwahl täglich als "korrupt" und "betrügerisch", auch um später eine mögliche Wahlniederlage anfechten zu können. Für einen groß angelegten Briefwahlbetrug gibt es jedoch keinerlei Beweise, Trump selbst hat bereits mehrmals per USPS abgestimmt. Auch seine Topberater machten schon davon Gebrauch.

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Wer behaupte, das sei ein betrügerischer Prozess, sagt Mark Dimondstein, der Chef der US-Postgewerkschaft APWU, dem SPIEGEL, "ist selbst ein Betrüger, denn das stimmt einfach nicht".

Seit 1775: Die US-Post hat ihre guten Zeiten hinter sich

Seit 1775: Die US-Post hat ihre guten Zeiten hinter sich

Foto: LUCY NICHOLSON/ REUTERS

Dass ausgerechnet die Post zu einem entscheidenden Faktor in der jetzt schon kontroversen US-Wahl werden könnte, ist die Folge einer historischen Misswirtschaft, die lange vor Trumps Präsidentschaft begonnen hat. Vor 15 Jahren machte das USPS noch Milliardenprofite. Doch 2006 erließ der Kongress mit republikanischer Mehrheit ein "Reformgesetz", das die Post seither zwingt, astronomische Pensionskosten zu zahlen. Das Ziel: Das USPS so auszubluten, dass es privatisiert werden muss.

Prompt brachen die USPS-Bilanzen ein - von 1,6 Millarden Dollar Gewinn (2005) auf 5,3 Milliarden Dollar Verlust (2007 ). Im selben Jahr debütierte das iPhone, das den Briefverkehr weiter reduzierte. Die Rezession tat das Ihre.

USPS in desolatem Zustand

Rechnet man das vergangene Jahr, machte die US-Post 71,5 Milliarden Dollar Miese  seit 1971 und schleppte fast 161 Milliarden Dollar Schulden mit sich, der Großteil für Pensionsrechnungen. "Die Finanzlage des USPS ist untragbar", urteilte der US-Rechnungshof  Ende 2019. Und dann kam die Pandemie.

Verschollene Briefe, verschleppte Rechnungen, lange Schlangen in immer weniger Postämtern - der desolate Zustand des USPS ist beinahe schon legendär. Mancherorts werfen die Briefträger die Post aus Angst vor dem Coronavirus einfach in die Vorgärten. Mit mehr als 633.000 Angestellten bleibt das Unternehmen trotzdem der drittgrößte US-Arbeitgeber.

Mit DeJoy hat Trump nun einen Unterstützer auf dem wichtigsten Posten im Unternehmen - und könnte so Einfluss auf die Arbeit der USPS nehmen. Das Geschäftsmodell der Post sei "kaputt", erklärte  DeJoy zum Amtsantritt. "Mit den verfügbaren Finanzquellen können wir unsere Kosten zurzeit nicht ausgleichen." Die Behörde stehe vor einer "Liquiditätskrise".

DeJoy ist der erste US-Postchef seit zwei Jahrzehnten, der nicht bei der Post groß geworden ist. Der Geschäftsmann aus North Carolina verdiente Hunderte Millionen Dollar mit einem Transportkonzern, der 2014 mit dem Logistikmulti XPO fusionierte, einem Vertragspartner des USPS. DeJoy war als "Jobkiller"  bekannt; das Unternehmen musste Geldstrafen  wegen Arbeitsrechtsverletzungen zahlen.

Zuletzt war DeJoy Finanzchef des - nun weitgehend abgesagten - Wahlparteitags der Republikaner. Seine Frau Aldona Wos war von 2004 bis 2006 US-Botschafterin in Estland; Trump hat sie als neue Botschafterin in Kanada nominiert.

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"Die Integrität der Wahl ist gefährdet"

Als erste USPS-Amtshandlung  ordnete DeJoy striktere Überstundenregeln für Briefträger an und reduzierte Betriebszeiten für Sortiermaschinen. Diese Maßnahmen könnten die Zustellung der Post tagelang verzögern. Er erhöhte das Porto für Briefwahlunterlagen von 20 auf 55 Cents. Und er krempelte das komplette USPS-Management  um, indem er fast zwei Dutzend langjährige Abteilungschefs versetzte.

Ausgebluteter Traditionsdienst: US-Briefträger in Kalifornien

Ausgebluteter Traditionsdienst: US-Briefträger in Kalifornien

Foto: JUSTIN SULLIVAN/ AFP

Die Folgen sind bereits landesweit zu spüren. Nach US-Medienberichten braucht selbst Eilpost neuerdings ein, zwei Tage länger als bisher. Abgesehen davon, dass viele Amerikaner ihre Medikamente mit der Post bekommen, ist dies ein düsteres Omen für die Wahl. "Mir graut es vor der Wahlsaison unter den neuen Prozeduren", sagte  Lori Cash, die APWU-Chefin im Westen des Bundesstaats New York, der "Washington Post".

Sollte die Demontage des USPS so weitergehen, drohe die Gefahr, dass "Stimmen nicht gezählt" oder "verspätet ausgeliefert" würden, schrieben 131 Demokraten jetzt in einem offenen Brief. "Die Integrität der Wahl ist gefährdet."

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Verlorene Briefwahlunterlagen könnten vor allem in knappen Swing States den Ausschlag geben. Schon bei den Vorwahlen in Wisconsin im April, die trotz des Corona-Lockdowns abgehalten wurden, kamen 2659 Stimmkarten zu spät an und wurden nicht mehr gezählt.

DeJoy dementiert, Trump politisch gefügig zu sein. Dieser Vorwurf sei "völlig deplatziert", erklärte USPS-Sprecher David Partenheimer. Als die Demokraten am Mittwoch eine Rücknahme seiner jüngsten Maßnahmen forderten, kam es zu einer hitzigen Auseinandersetzung mit DeJoy im US-Kapitol. "Die Wahlen sind heilig", donnerte Senator Chuck Schumer.

Am 17. September soll sich DeJoy dem Kontrollausschuss des Repräsentantenhauses stellen. Da wird der erste US-Bundesstaat  bereits seine Briefwahlunterlagen verschickt haben. Es handelt sich um DeJoys Heimatstaat North Carolina.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Post habe im vergangenen Jahr 71,5 Milliarden Dollar Miese gemacht. Tatsächlich bezieht sich die Zahl auf die Gesamtverschuldung seit 1971. Wir haben die Stelle korrigiert.