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Zum Tod von Wolfgang Clement Vom Superminister zum Un-Sozialdemokraten

Zwei Ressorts, als Reformer bejubelt: Im rot-grünen Kabinett von Kanzler Schröder war Wolfgang Clement das wichtigste Mitglied. Später wurde er in der SPD beschimpft - und fand Anerkennung bei der FDP.
Wolfgang Clement (M.) mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (r.) und dem Parteikollegen Franz Müntefering

Wolfgang Clement (M.) mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (r.) und dem Parteikollegen Franz Müntefering

Foto: via www.imago-images.de / imago images/Hoffmann

Bei der Feier seines 80. Geburtstags im Juli mit der Jugendliebe Karin, fünf Töchtern und 13 Enkeln stellte Wolfgang Clement noch zufrieden fest: "Auch beruflich" habe er "viel Glück gehabt".

Womit er ziemlich untertrieb: Denn der jetzt Verstorbene war jahrzehntelang einer der polarisierendsten, aber auch bekanntesten Politiker Deutschlands: als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen (von 1998 bis 2002) und vor allem als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (von 2002 bis 2005). Da "machte er sich um eine Reform verdient, die die Grundlage dafür legte, dass Deutschland nicht länger als 'kranker Mann Europas' galt", lobte ihn FDP-Chef Christian Lindner. Clements einstige Parteifreunde in der SPD sahen das nicht ganz so. Aber das war ihm längst egal.

Clement wurde 1940 in Bochum in eher ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Maurers geboren. Der Vater bringt es zum Bauingenieur, später sogar zum Baumeister und zeigt dem Sohn dabei, so scheint es, wie Aufstieg geht. "Du musst durch eigene Bildung , durch eigenes Handeln versuchen, dein Leben zu gestalten, sonst wirst du gestaltet", sagt der Sohn in einem Interview - lange nach seiner Karriere, die noch viel höher führte.

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Der Agenda-Mann

Foto: Martin Gerten / DPA

Wolfgang Clement studiert nach dem Abitur bis 1965 Jura in Münster und macht zugleich ein Volontariat als Journalist bei der "Westfälischen Rundschau" in Dortmund. Für deren Lokalredaktion schreibt er dann eine Weile, Zeilenhonorar neun Pfennig. 1968 wird er dort Politikredakteur,  fünf Jahre später stellvertretender Chef. 

Arbeiten von 7 bis 23 Uhr…

Er ist ab 1970 SPD-Mitglied, aber erst 1981 beginnt die politische Karriere. Die SPD holt ihn als Parteisprecher nach Bonn. Zu spät merkt Clement, dass er einen schrecklichen Auftrag hat: Eine Partei zu verkaufen, zu erklären, die von zwei Männern dominiert wird, die grundsätzlich gegenteiliger Meinung sind: Parteichef Willy Brandt und Kanzlerkandidat Johannes Rau.

Sprecher Clement jongliert fünf Jahre lang, dann in der Endphase des Bundestagswahlkampfs 1986/87 will er nicht mehr. Er fordert, einer von beiden müsse sich zurückziehen. Beide denken nicht daran. Clement wirft daraufhin das Handtuch, zieht nach Hamburg, wird Chefredakteur bei der dortigen "Morgenpost". Aber schon bald, 1989, holt die Politik ihn wieder: Er wird Chef der Staatskanzlei bei NRW-Regierungschef Rau. Dort sitzt schon, als Raus Büroleiter, Peer Steinbrück. Beide sind Workaholics, passen bestens zusammen. 

"Soweit uns auswärtige Termine nicht daran hinderten, arbeiteten wir bis 23 Uhr an unserem jeweiligen Schreibtisch", erinnert sich Steinbrück, "gingen dann für ein oder vielleicht auch zwei Altbiere in die Düsseldorfer Altstadt und verschwanden danach in Gästezimmern im damaligen Haus des Ministerpräsidenten." Sie wohnen wie in einer Kommune.

Nur einen Unterschied gab es, sagt Steinbrück: "Ich fiel ins Bett, während Wolfgang Clement bis tief in die Nacht noch Akten bearbeitete. Er stand dann morgens um 7 Uhr oder eher auf, joggte am Rhein und eröffnete spätestens um 9 Uhr die tägliche Lage mit ausgesuchten Mitarbeitern."

…und dann ein paar Bierchen

Clement hatte tatsächlich einen "sensationell geringen Schlafbedarf" (Steinbrück), denn mitunter blieb es längst nicht bei zwei Bierchen - da fuhr Clement noch spät am Abend zu  Freunden in Rhöndorf nahe Bonn, um dort noch ein paar Bierchen zu nehmen. Aber er war am nächsten Morgen immer pünktlich, top informiert und hellwach.

Damals protzte er gelegentlich, er könne zwölf Glas Bier schneller trinken als andere zwölf Korn. Und sein Geheimnis des schnellen Trinkens verriet er gern und an jedermann: "Man muss nur das Zäpfchen zurückklappen!" Im TV-Kanal ProSieben gab es denn auch eine Sendung mit dem Titel "Wettsaufen gegen Wolfgang Clement". 

Aber das war etwas später, 2002. Da war Clement schon vier Jahre selbst Ministerpräsident in NRW gewesen und hatte sich mit dem grünen Koalitionspartner über Steinkohlesubventionen und Industrieförderung gefetzt. Und gerade war er von Bundeskanzler Gerhard Schröder als Doppelchef der eigentlich stets getrennten Ressorts Arbeit und Wirtschaft nach Berlin geholt worden.   

Die "Agenda 2010"

Es war die Zeit, in der ein neuer Typ des Sozialdemokraten gesucht und erprobt wurde: Ein moderner "Macher" statt des ewiggestrigen Klassenkämpfers, ein Pragmatiker auf Augenhöhe mit den Wirtschaftsführern, mehr Co-Manager als Parteibuchideologe. So hat sich Schröder selbst gesehen - und für sein Alter Ego Clement schuf er durch Zusammenlegung von Arbeits- und Wirtschaftsministerium die richtige Position, der "Superminister" war geboren. 

Führende Sozialdemokraten in Europa nahmen in jener Zeit das Schröder-Blair-Papier  von 1999 immer mal wieder zur Hand. Der dort verheißene "Dritte Weg" in eine sozialdemokratische Zukunft setzte auf eine umfassende Ökonomisierung der Gesellschaft, in der die Politik die Steuerungsfunktion von Märkten nur ergänzt und verbessert, in der der Staat sich zurückzieht, in der die Bürger dem Markt und sich selbst überantwortet werden. Moderne Sozialdemokratie eben, einer wie Schröder, einer wie Clement. Sie schufen - und hinterließen - ein Konzept zur Reform  des deutschen Sozialsystems  und Arbeitsmarktes , genannt "Agenda 2010": Die Wirtschaft bekam mehr Freiräume, zum Beispiel wurde der Kündigungsschutz gelockert, die Arbeitsmarkt-  und Sozialleistungen zusammengestrichen, Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung gekappt.

Dafür gab es viel Beifall. Das sei die "Grundlegung der 2005 einsetzenden nachhaltigen und beschäftigungsintensiven Erholung" der deutschen Wirtschaft, formuliert Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, die Meinung der Unternehmerseite. Und Clement habe "großen Anteil" daran gehabt.

Das genau nahmen ihm damals gerade viele Sozialdemokraten sehr übel, vor allem die aus den Gewerkschaften und den Sozialorganisationen. Und als Clement in dem Gezänk auch noch mit einer Broschüre nachlegte ("Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat"), war die - "alte" - SPD endgültig sauer. Für die Linke war er nun, wie ihn zum Beispiel das Internetmedium "Blickpunkt WiSo" nannte, "ein lupenreiner Unsozialdemokrat". 

Von der SPD in die Aufsichtsräte

Wegen der "üblen Kampagne gegen Arbeitslose" - so wie der Paritätische Wohlfahrtsverband sahen das viele SPD-Angehörige - wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen Clement eingeleitet. Das endete zwar mit einer schlichten "Rüge", aber der Gerügte war zum einen beleidigt und zum anderen längst auf der anderen Seite: Er trat am 25. 11. 2008 nach 38 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD aus und kümmerte sich fortan lieber um die FDP, die er als "einzige Fortschrittspartei Deutschlands" bezeichnete. 

Und ums Geld kümmerte er sich sodann noch etwas intensiver als zuvor: Er sammelte Jobs in der Wirtschaft, vor allem Aufsichtsratsposten: etwa beim Dienstleistungskonzern Dussmann AG, bei der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power, beim Zeitungsverlag DuMont-Schauberg, beim Telekommunikationsunternehmen Versatel, beim russischen Beratungsunternehmen Energy Consulting, bei der Investmentgesellschaft Berger Lahnstein Middelhoff & Partners LLP, bei der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen und so weiter.

An seinem 80. Geburtstag sagte er zum Abschied vor der Tür seines Hauses einem Reporter: "Das hätte ich mir früher auch nicht träumen lassen. Aber es waren tolle Zeiten dabei." Am Sonntag ist Clement im Kreis seiner Familie in Bonn gestorben.

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