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Ermittlungen gegen Rechtsextreme "Teutonico" und seine Terrorzelle

Die jetzt verhafteten Rechtsextremen planten offenbar gezielte Anschläge auf Betende in Moscheen. In einem Gespräch war nach SPIEGEL-Informationen die Rede von "Kommandos", die in zehn Bundesländern zuschlagen sollten.
Foto: Uli Deck/ dpa

Von Maik Baumgärtner, Julia Jüttner, Roman Lehberger, Sven Röbel, Fidelius Schmid und Wolf Wiedmann-Schmidt

Das konspirative Treffen begann pünktlich um elf Uhr. Am Samstag vor einer Woche fand sich ein Dutzend Rechtsextreme in einem Haus im nordrhein-westfälischen Minden ein, manche der Männer waren von weit her angereist. Ihre Handys ließen sie im Auto.

Seit Monaten hatten Staatsschützer die Männer im Visier. Ihr Verdacht: Hier entsteht eine Terrorgruppe. Und so überwachten die Behörden auch das Geheimtreffen - und bekamen offenbar mit, was die Männer hinter verschlossenen Türen besprachen.

Nach SPIEGEL-Informationen soll der mutmaßliche Anführer der rechtsextremen Truppe, Werner S., 53, an dem Wochenende in Minden seine Pläne skizziert haben: Man solle in kleineren Gemeinden Muslime angreifen, beim Beten in Moscheen. Zwei der Männer wurden nach Erkenntnissen der Ermittler auserkoren, die Waffen zu beschaffen. Alle zusammen sollten das nötige Geld aufbringen: 50.000 Euro. Parallel dazu sollten mögliche Anschlagsziele ausgekundschaftet werden.

Das Ziel war ein Bürgerkrieg

Trifft der Verdacht der Bundesanwaltschaft zu, hätte es in Deutschland Moschee-Massaker geben sollen, ähnlich wie im Frühjahr 2019 im neuseeländischen Christchurch, wo ein Angreifer in zwei Gebetshäusern 51 Menschen erschoss. In einem Gespräch, das wenige Tage nach dem Treffen in Minden abgehört wurde, war die Rede von mehreren "Kommandos": "Zehn Männer" sollten in "zehn Bundesländern" zuschlagen. Durch die Anschläge, so erhofften es sich die Rechtsextremen offenbar, würden Gegenangriffe provoziert - die dann in einer Art Bürgerkrieg enden würden.

Die mutmaßlichen Terrorpläne wurden vereitelt: Seit diesem Wochenende sitzen zwölf Rechtsextreme in Untersuchungshaft. Vier von ihnen gelten der Bundesanwaltschaft als Mitglieder der Terrorzelle, acht als Unterstützer - darunter ausgerechnet ein Verwaltungsmitarbeiter der nordrhein-westfälischen Polizei.

Die Festnahmen verdeutlichen erneut, dass die Bedrohung durch Rechtsextremismus gestiegen ist. Die Polizei stuft inzwischen 53 Männer und Frauen als rechtsextreme "Gefährder" ein, Ende 2016 waren es noch 22. Ihnen trauen Staatsschützer schwere Gewalttaten zu, bis hin zu Anschlägen. Generalbundesanwalt Peter Frank hat mehrfach klargemacht, dass er eine kompromisslose Linie fährt und früh zugreift, sobald mögliche Terrorstrukturen erkennbar werden. So war es offenkundig auch in diesem Fall.

Werner S., der auch "Teutonico" genannt wird

Werner S., der auch "Teutonico" genannt wird

Foto: Facebook

Nach den Erkenntnissen der Ermittler war die mutmaßliche Terrorzelle straff organisiert. In ihren Augen war Werner S. "unbestrittener Kopf" der Truppe, behördenintern wurde sie daher als "Gruppe S." bezeichnet. Seit mehreren Monaten wurde auch er als "Gefährder" geführt. Als seine rechte Hand soll der Neonazi Tony E. aus dem niedersächsischen Landkreis Uelzen fungiert haben.

Die Gruppe soll sich im vergangenen Herbst zusammengefunden haben. Ende September trafen sich neun der Männer an einer alten Sägemühle im baden-württembergischen Alfdorf. Bei dem Treffen sei es bereits um Waffen gegangen, so sagte es einer der Anwesenden inzwischen aus: Der Anführer der Truppe habe ihm im Auto eine scharfe Pistole gezeigt.

Die Männer vernetzten sich nach Erkenntnissen der Ermittler auch in mehreren Chatgruppen. Über die digitalen Kanäle soll Werner S. versucht haben, Männer zu rekrutieren, die "intelligent, hart, brutal, schnell" seien. Geplant war offenbar anfangs, eine Art Untergrundarmee aufzubauen, nach dem Vorbild der rechtsradikalen Freikorps in der Weimarer Republik.

Tony E., angeblich "die rechte Hand" von Werner S.

Tony E., angeblich "die rechte Hand" von Werner S.

Foto: Facebook

In einer im Dezember eingerichteten Chatgruppe war die Rede von einem "Freiwilligenverband zur Kräftemobilisierung". Man werde sich um eine "Ausbildung im militärischen Sinne" kümmern, "Verrat" werde "strengstens geahndet!". Später soll Werner S. in dem Chat gefragt haben, wer sich "etwas mehr als die Teilnahme an Demonstrationen und dergleichen" zutraue. Er selbst trug in der rechtsextremen Szene den Spitznamen "Teutonico".

Wie viel von dem, was die Männer in den Chats austauschten, Großmäuligkeit war und wie viel real, werden die weiteren Ermittlungen ergeben.

Das Gewaltpotenzial der "Gruppe S." zeigte sich spätestens bei den bundesweiten Razzien am vergangenen Freitag. In Mickhausen bei Augsburg, beim mutmaßlichen Rädelsführer Werner S., stellten die Beamten eine schussbereite 9-Millimeter-Pistole inklusive Munition sicher.

Selbst gebaute Handgranaten

Auch bei einem angeblichen Terror-Komplizen in Nordrhein-Westfalen entdeckten Spezialkräfte in großem Umfang Waffen - darunter selbst konstruierte Eierhandgranaten. 

Bei Thomas N. in Minden, einem mutmaßlichen Mitglied der Terrorgruppe, fanden die Polizisten unter anderem eine Armbrust sowie Äxte, Morgensterne und zahlreiche Messer. Laut Ermittlern hat der 55-Jährige eine Affinität zur Ideologie der sogenannten Reichsbürger und zu germanischen Mythen. Er wolle "gern nach Walhall", schrieb er in einer abgefangenen Nachricht – die Ruhmeshalle für die in der Schlacht Gefallenen.

"Hang zum nordischen Brauchtum": Thorsten W.

"Hang zum nordischen Brauchtum": Thorsten W.

Foto: Facebook

Auch der beschuldigte Verwaltungsmitarbeiter der nordrhein-westfälischen Polizei pflegte offenbar einen Hang zum nordischen Brauchtum. Im Internet postete er Fotos, die ihn als germanischen Krieger verkleidet zeigen, mit Schwert und einem mit Runen verzierten Schild. Die Bundesanwaltschaft rechnet auch ihn dem "rechtsextremen Spektrum" zu.

Offenbar wollte sich die Gruppe zudem mit sogenannten "Slam-Guns" ausrüsten, wie sie auch der antisemitische Attentäter von Halle verwendet hatte. In von den Behörden abgefangenen Gesprächen sollen die Rechtsextremen die großkalibrigen Schrotflinten bisweilen mit dem Codewort "Elektroroller" bezeichnet haben, die dazugehörige Munition als "Akkus".

Eine dieser "Slam-Guns" wurde, nebst 100 Schuss Munition, bei dem mutmaßlichen Terrorhelfer Steffen B., 35, im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt entdeckt. Bei Tests stellten Kriminaltechniker die Schusskraft solcher selbst gebauten Waffen fest: Sie hätte die Schrotkugeln bis zu 13 Zentimeter tief in menschliche Körper geschossen.

"Wie immer im Staatsschutzbereich wiegen die Vorwürfe schwer", sagte Daniel Sprafke, Verteidiger eines der Festgenommenen. Man werde nun prüfen müssen, ob sie Gehalt haben. Es bestünden schon deshalb Zweifel an der "durch den Generalbundesanwalt suggerierten Gefährlichkeit", da die Polizei "bisweilen jeden Handstreich der Beschuldigten ständig überwacht hat".

Mitarbeit: Marie Groß