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Abkommen mit Südamerika Merkel brüskiert Macron mit Brief zu Handelsvertrag

Die EU soll das Handelsabkommen mit Südamerikas Mercosur-Staaten abschließen - das fordern Angela Merkel und sechs weitere Regierungschefs in einem Brief an Kommissionschef Juncker. Damit droht neuer Ärger zwischen Berlin und Paris.
Emmanuel Macron und Angela Merkel

Emmanuel Macron und Angela Merkel

Foto: Ludovic Marin/Pool via REUTERS

Mehrere EU-Staaten machen Druck auf die EU-Kommission, das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay zügig abzuschließen. In einem Brief an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der dem SPIEGEL vorliegt, fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs von sechs weiteren EU-Ländern, den Mercosur-Staaten ein "ausgewogenes und vernünftiges Angebot vorzulegen, das den Weg zu einem Abschluss des Abkommens ebnet" - und das so schnell wie möglich.

"Wir haben eine historische und strategische Gelegenheit, eines der wichtigsten Abkommen der gemeinsamen europäischen Handelsgeschichte zu schließen", heißt es in dem vertraulichen Schreiben vom 20. Juni weiter. Man müsse das "gegenwärtige politische Momentum in den Mercosur-Staaten nutzen".

Zu den Unterzeichnern des Briefs gehören neben Merkel der Spanier Pedro Sánchez, der Tscheche Andrej Babis, der Niederländer Mark Rutte, der Schwede Stefan Löfven sowie Krisjanis Karins aus Lettland und António Costa aus Portugal. Sie stellen sich damit offen gegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und andere EU-Regierungen.

20-jährige Verhandlungen kurz vor dem Abschluss

Die EU-Kommission verhandelt seit rund 20 Jahren mit der Mercosur-Gruppe über ein Freihandelsabkommen. Es wäre das bisher größte seiner Art. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erklärte jüngst im Gespräch mit dem SPIEGEL , dass der Vertrag kurz vor dem Abschluss stehe.

Umso ungewöhnlicher ist der Brief der Regierungschefs, zumal die Entscheidungshoheit in Handelsfragen bei der EU-Kommission liegt. Dass Merkel und ihre Mitstreiter nun dennoch Druck machen, dürfte mehrere Gründe haben. Einer ist, dass sie offenbar ein politisches Signal an die US-Regierung senden wollen, die unter Präsident Donald Trump das internationale Regelsystem angreift. Von der "aufsteigenden Gefahr des Protektionismus" und einer "Schwächung des multilateralen regelbasierten Handelssystems" ist in dem Schreiben die Rede.

Ein weiterer Grund für die Intervention dürfte sein, dass Argentiniens wirtschaftsliberaler Präsident Mauricio Macri schon im Herbst abgewählt werden könnte. Und in Brasilien ist mit Jair Bolsonaro ein ebenfalls freihandelsfreundlicher, aber auch rechtsnationaler Präsident an der Macht, der an die Rechte von Minderheiten ebenso die Axt anlegt wie an den Regenwald  und den Klimaschutz. Er hat den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen bereits angekündigt, wenn auch noch nicht vollzogen.

Sollte Bolsonaro dies tun, würde es den Abschluss des Handelsvertrags mit der EU erschweren oder gar verhindern. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa verlangt, dass die EU keine Handelsverträge mehr mit Staaten abschließt, die das Pariser Klimaschutzabkommen missachten. Das hatte auch das EU-Parlament in einer Resolution gefordert, die im Juli 2018 mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Und anders als Macron muss das Parlament dem Mercosur-Abkommen am Ende zustimmen.

Keine Rede vom Klimaschutz

Doch Merkel und ihre Mitunterzeichner haben offensichtlich andere Prioritäten. Den Klimaschutz erwähnen sie in ihrem Brief mit keinem Wort. Stattdessen betonen sie, dass das Mercosur-Abkommen "unseren Unternehmen privilegierten Zugang zu einem Markt mit mehr als 260 Millionen Verbrauchern erlauben" würde. Viele Wirtschaftssektoren von "strategischer Bedeutung", darunter Autos und Autoteile, Maschinen, Chemikalien und Pharmazeutika, "werden besonders profitieren".

Das sorgt für Kritik aus dem Bundestag. "Kanzlerin Merkel macht sich maximal unglaubwürdig, wenn sie beim Klimaschutz erst ein Ende der Pillepalle-Politik ankündigt und dann die Europäische Kommission in einen Handelsvertrag mit der Mercosur-Region drängt, der enorme Klima- und Umweltschäden verursachen würde", sagt Anton Hofreiter, Co-Chef der Grünen-Bundestagsfraktion.

Manche EU-Staaten kritisieren derweil stärker handelspolitische Details des Abkommens. Belgien und Irland etwa sehen ihre Agrarindustrie von Importen aus Südamerika bedroht. Wie aus informierten Kreisen verlautet, bestehen die Südamerikaner bisher darauf, fast 100.000 Tonnen Rindfleisch pro Jahr nach Europa einführen zu dürfen. Für französische und irische Rindfleischzüchter wäre diese Menge kaum verkraftbar.

Am Mittwoch sollen Minister der Mercosur-Staaten nach Brüssel kommen und mit Handelskommissarin Malmström sowie Vertretern der Nationalstaaten sprechen. Eine Einigung gilt trotz des Briefs von Merkel und ihren Amtskollegen als unwahrscheinlich. Zu groß sind die Vorbehalte der Franzosen und ihrer Verbündeten, zu stark ist der fraktionsübergreifende Widerstand aus dem EU-Parlament.

Der Brief geht auf die Initiative des spanischen Regierungschefs Sánchez zurück und ist nach Informationen des SPIEGEL eine Reaktion auf ein Schreiben, das Macron gemeinsam mit den Regierungschefs einiger anderer EU-Länder zuvor an die EU-Kommission geschickt hatte. Darin hatte der Franzose darauf gedrungen, bei den Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten landwirtschaftliche Fragen - soweit möglich - herauszuhalten.