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Historischer SpaceX-Start Raumfahrt im Schatten der Politik

Erstmals seit 2011 haben die USA wieder Astronauten auf den Weg ins All gebracht. Die beispiellose SpaceX-Mission sollte die Nation einen - doch nun wird sie zum Politikum einer Krisenära.
Von Marc Pitzke, New York
Trump, Pence und eine Rakete: Historischer SpaceX-Start in Cape Canaveral

Trump, Pence und eine Rakete: Historischer SpaceX-Start in Cape Canaveral

Foto: JONATHAN ERNST/ REUTERS

Bis zuletzt müssen sie zittern. Auch am Samstag ballen sich wieder ominöse Regen- und Gewitterwolken über Cape Canaveral. Wie schon am Mittwoch, als der Countdown nicht mal 17 Minuten vor dem Start abgebrochen werden musste.

Diesmal aber verzieht sich die Front gerade noch rechtzeitig. Die Meteorologen, die auch den Westatlantik im Blick halten, geben den Countdown frei. "Go for launch", kommt das Kommando. "Go Nasa. Go SpaceX. Gott sei mit euch, Bob und Doug!" Dann: "Three... two... one."

Cape Canaveral, 15:22:45 Uhr Ortszeit: Donnernd startet die "Falcon-9"-Rakete in den Himmel. Ganz oben auf der Spitze, in einer winzigen Kapsel namens "Crew Dragon", hocken Bob Behnken und Doug Hurley - die ersten US-Astronauten seit 2011, die von amerikanischem Boden aus ins All reisen. Die Außenbordkamera zeigt, wie Florida langsam im Dunst unter ihnen versinkt.

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Für einen Moment scheint es innezuhalten, das eskalierende Chaos, das die erdgebundenen USA dieser Tage im Griff hält. Für einen Moment überstrahlt die Technologie alles - Trauer, Spaltung, Proteste, Unruhe. Für einen kurzen, donnernden Moment.

"Dies ist eine Gelegenheit für alle Amerikaner, über unsere Menschlichkeit nachzudenken und darüber, was wir gemeinsam erreichen können", sagt Nasa-Chef Jim Bridenstine erleichtert. "Es war ein weiter, langer Weg."

Ein historischer Augenblick, in der Tat: "Crew Dragon" markiert eine neue Ära der US-Raumfahrt. Es ist nicht nur die erste bemannte Mission seit der Pensionierung der Space Shuttles vor neun Jahren, sondern auch die erste solche Kooperation zwischen der Nasa und der Privatindustrie - in diesem Fall mit dem kalifornischen Weltraumkonzern SpaceX.

Cape Canaveral, 15:22:45 Uhr Ortszeit: Start der "Falcon-9"-Rakete mit der SpaceX-Kapsel "Crew Dragon"

Cape Canaveral, 15:22:45 Uhr Ortszeit: Start der "Falcon-9"-Rakete mit der SpaceX-Kapsel "Crew Dragon"

Foto: JOE SKIPPER/ REUTERS

Es ist Zufall, dass dieser - oft verschobene - Augenblick mitten in eine doppelte US-Krise fällt, die Corona-Pandemie und die sozialen Unruhen der letzten Tage. Zugleich aber weckte das erst recht Hoffnungen, damit eine seltene nationale Einheit zu erreichen, die das Land beruhigt.

Das bekundet zumindest US-Präsident Donald Trump. Der reiste schon zum ersten, missglückten Starttermin am Mittwoch an und kommt am Samstag erneut zum Weltraumbahnhof Cape Canaveral, koste es, was es wolle. Die Nasa begrüßt ihn mit zwei Hits, die sonst zum Soundtrack seiner Wahlauftritte gehören: "Macho Man" und "Rocket Man".

"Das ist eine so tolle Inspiration für unser Land", sagt Trump, als er den Start auf dem Dach eines Nasa-Gebäudes mitverfolgt, flankiert von Vize Mike Pence, dem Chef des US-Weltraumrats. "Unserem Land geht's gut."

Doch die TV-Nachrichtensender, die den Launch live übertragen, beweisen kurz darauf das Gegenteil: Nach wenigen Minuten schalten sie gleich wieder um zu den Massenprotesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, die sich auch am Samstag durch Dutzende US-Städte wälzen.

"Eine so tolle Inspiration": Trump bei der Nasa in Cape Canaveral

"Eine so tolle Inspiration": Trump bei der Nasa in Cape Canaveral

Foto: STEVE NESIUS/ REUTERS

Auch Trumps anschließender Auftritt vor jubelnden Nasa-Mitarbeitern geht fast unter. Nur Fox News zeigt, wie Trump sich zum Patriotensong "God Bless the USA" feiern lässt - und dann minutenlang gegen "Antifa" und "Linksradikale" wettert, die für die Ausschreitungen der letzten Nächte verantwortlich seien. Obwohl es nach Darstellung der Kommunalbehörden auch angereiste Rechtsextreme waren, die die Gewalt anstachelten.

Ein Jammer für die Nasa und SpaceX, dass ihre Genialität so überschattet wird von der Politik der Stunde. Seit Juli 2011 war kein Amerikaner mehr von Cape Canaveral aus ins All geflogen. Das Shuttle-Programm war nach dem "Columbia"-Desaster 2003 nach und nach zurückgefahren worden. Trumps Vorgänger Barack Obama hatte schließlich den Stecker gezogen.

In die Lücke traten Privatkonzerne wie SpaceX, das Unternehmen des exzentrischen Milliardärs Elon Musk. Erstmals wird dessen Technologie nun am Menschen ausprobiert, mit Hilfe der Nasa und der US-Armee, die weiter für die Logistik zuständig sind. "Ein großes Risiko", gibt Bridenstine zu.

Weshalb sich die Experten ihre Konzentration nicht nehmen lassen, weder von Massenprotesten noch von einer Pandemie. Die Astronauten waren vorher sowieso in Quarantäne; alle Mitarbeiter von Nasa und SpaceX tragen Masken und bleiben auf Distanz, auch an den polierten Pulten des Kontrollzentrums.

Die "Crew Dragon"-Astronauten Behnken und Hurley sind Nasa-Veteranen, ein prominentes Duo in den USA - und beste Freunde. Beide sind Ex-Soldaten und selbst mit Astronautinnen verheiratet, beide waren schon zweimal im All. Hurley kommandierte den letzten Flug der "Atlantis", jetzt kehrt er in den Weltraum zurück - im SpaceX-Cockpit und von derselben historischen Startrampe 39A  aus, von der 1969 schon Apollo 11 zum Mond aufbrach.

Hunderte Schaulustige verfolgen den Start an den Ufern, Stränden und Piers. Obwohl die Nasa gebeten hatte, lieber zu Hause zu bleiben und virtuell zuzuschauen. An die strengen Corona-Regeln - zwei Meter Abstand, keine Gruppen mit mehr als zehn Leuten - halten sich nicht alle.

"Der SpaceX-Start hebt die Moral": Schaulustige am Stand bestaunen den Launch

"Der SpaceX-Start hebt die Moral": Schaulustige am Stand bestaunen den Launch

Foto: JOE RIMKUS JR/ REUTERS

Denn auch für die Region ist dies eine wichtige Zäsur. Floridas "Space Coast", deren Straßen nach Astronauten benannt sind, überstand schon viele Krisen, doch dank der privaten Renaissance war sie zuletzt erneut zum globalen Weltraumzentrum geworden - bis die Coronakrise alles stilllegte.

"Der SpaceX-Start hebt die Moral, auf jeden Fall", sagt Lynda Weatherman, die Chefin der Space Coast Economic Development Commission, der kommunalen Entwicklungsbehörde. "Er ist eine Metapher: Wir kommen wieder."

Wenn diese Mission vollends gelingt, wollen SpaceX und die Nasa eines Tages auch Touristen ins All schicken. Und vielleicht sogar Tom Cruise, für den ersten wirklich im Weltraum gedrehten Space-Film Hollywoods. Nächste Stopps: Mond und Mars - wo die Sorgen am Boden weit weg sind.

"Von da oben", sagte der Apollo-14-Astronaut Edgar Mitchell einst, "sieht die internationale Politik so belanglos aus."

Anm. d. Red: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Dragon 9 Rakete würde mit einer Geschwindigkeit von 7600 m/s ins All fliegen. Tatsächlich ist die Geschwindigkeit, gerade zu Beginn des Fluges innerhalb der Erdatmosphäre, deutlich geringer.