Die Corona-Krise ist keine Blütezeit für die Freiheit. Überall werden Bürgerrechte eingeschränkt: Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote oder sogar Anordnungen für Betriebe zur Herstellung medizinischer Produkte.
Wichtig ist, dass diese Maßnahmen zeitlich begrenzt sind und einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
In Ungarn ist das nicht der Fall. Ministerpräsident Viktor Orbán hat sich mit der notwendigen Fidesz-Mehrheit im Parlament weitgehende und zeitlich unbefristete Vollmachten in der Corona-Krise verschafft. Er kann jetzt ohne Volksvertretung per Dekret regieren. Das ist beispiellos in westlichen Demokratien.
Erstaunlich ist das Schweigen darüber in den Mitgliedsländern der Europäischen Union. Noch verwunderlicher ist das Herumgedruckse der EU-Kommission: Sie ist die Hüterin der Verträge, und sie muss zuallererst europäische Grundwerte verteidigen. Die Corona-Krise darf nicht zum Machtvehikel für Semiautokraten wie Viktor Orbán werden.
Es ist hohe Zeit, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Ende der Krise eine Strategie vorlegt, wie mit Ländern wie Ungarn künftig umzugehen ist. Alles, was bisher an Plänen für Disziplinierungsmaßnahmen auf dem Tisch liegt, wirkt letztlich zahnlos.
Es geht nicht nur um Sanktionen. Es geht für von der Leyen auch darum, jenseits von Sonntagsreden mit Leidenschaft zu erklären, wofür dieses Europa steht – und wofür es nicht steht.
Es ist bizarr, wie Orbán in der Corona-Krise immer wieder auf die Hilfen aus China verweist, wie sehr er asiatische Gesellschaften als Vorbilder preist und mit welcher Inbrunst er die EU als Schwächling darstellt.
Man mag das für Puszta-Propaganda halten. Aber tragisch daran ist schon, dass Orbáns „illiberale Demokratie“ und der ungarische Wohlfahrtsstaat ohne die EU gar nicht überleben könnten.
Für Ungarn wären weder Russland und schon gar nicht China echte politische oder ökonomische Alternativen. Orbáns Machtbasis ist die EU – das sollte ihn von der Leyen endlich spüren lassen.