Sein Händedruck ist wie ein Schraubstock. Und wenn er spricht – immer frei, ohne Manuskript, dafür im ausdrucksstarken Dialekt – wird es ein wilder Ritt. Manchmal vergaloppiert sich Hubert Aiwanger dabei auch. Zum Beispiel, wenn er die CSU warnt, dass die Freien Wähler auch aussteigen könnten, falls die Christsozialen bei den Koalitionsverhandlungen zu fordernd aufträten. Dann gelte: „Sucht euch einen Dümmeren wie uns, wenn ihr einen findet!“
Und manchmal wirkt der Chef der Freien Wähler auch etwas naiv. Zum Beispiel wenn er ankündigt, künftig mit der Opposition zu besprechen, welche ihrer guten Ideen gleich in die Regierungspolitik übernommen würden. Er sei sich auch nicht zu schade, in diesem Sinne auch mit der AfD zu reden. Ob Machtmensch Markus Söder das mitmachen würde, erscheint zweifelhaft. Aber das ist Aiwanger vorerst alles egal – die Freien Wähler sind nun zur mitbestimmenden Kraft in Bayern geworden. Die „Bayern-Koalition“ wird kaum noch aufzuhalten sein.
Vorerst. Denn langfristig haben die Freien Wähler zwei Optionen: Entweder schaffen sie es, sich als zweite bürgerlich-konservative Kraft neben der CSU zu etablieren. Oder sie machen sich in ihrer neuen Rolle in fünf Jahren als Regierungspartei so überflüssig wie einst die FDP, die nach dem Einzug in den Landtag 2008 im Jahr 2013 hochkant wieder rausflog. Wollen die Freien Wähler das verhindern, werden sie deutlich machen müssen, was sie von der CSU eigentlich unterscheidet und wozu sie – abgesehen von der akuten Mehrheitsbeschaffung – gebraucht werden. Die Möglichkeiten zur Profilierung scheinen begrenzt.
Aber Hubert Aiwanger ist selbstverständlich optimistisch, dass sich nun etwas Dauerhaftes anbahnt. Vorerst kostet er den Erfolg von mehr als zehn Jahren oft freudloser Oppositionsarbeit aus. Auch wenn er sich bemüht, bescheiden zu bleiben: Es sei nie sein Lebenstraum gewesen, dass er morgens vom Ministeriums-Chauffeur mit weißen Handschuhen an der Haustür abgeholt werde. „Ich fahre lieber selber“, sagt Aiwanger. Dennoch strahlt sein Stolz aus allen Knopflöchern: „Seit Jahren arbeiten wir darauf hin. Wir werden das schon hinkriegen.“
Die bisherigen Erfahrungen bestätigen ihn. Er gehörte zu den treibenden Kräften, die aus den vielfältigen freien, parteiunabhängigen, kommunalen Listen eine landesweite Organisation und schließlich eine Partei formten. Als Folge der Reform- und Sparpolitik des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und seines Staatskanzleichefs Erwin Huber („Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man nicht die Frösche fragen“) schafften es die Freien Wähler 2008 in den Landtag.
Nach einer zähen Phase der Einarbeitung in den Parlamentsbetrieb folgten Jahre der Selbstfindung. Dazu gehörte der letztlich erfolglose Versuch, im Bündnis mit SPD und Grünen die CSU abzulösen. Die Partner blieben sich stets fremd. Es wirkte verkrampft bis komisch, als der SPD-Spitzenkandidat Christian Ude aus Schwabing zu Aiwangers Bauernhof in Rastorf reiste, um dort Ferkel zu streicheln und im Gegenzug Aiwanger und Ude in der Großstadt gemeinsam U-Bahn fuhren.
In der Flüchtlingspolitik zeitweise rechter als die CSU
Nach der Wahl 2013 lief es besser. Die Freien Wähler entdeckten die Ankündigung von Volksbegehren als wirksames Druckmittel auf die CSU: Die Abschaffung der Studiengebühren, die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium oder die Abschaffung der „Strabs“ bezeichneten Straßenausbaubeiträge kann die Aiwanger-Truppe als Erfolge verbuchen. Sie überstrahlen das sonst oft diffuse Bild der FW-Politik. Mal stimmen sie mit der Opposition, mal mit der CSU, mal enthalten sie sich. In der Flüchtlingspolitik war man mal ganz auf CSU-Linie, zeitweise versuchte Aiwanger sie sogar rechts zu überholen, schwenkte dann aber auf einen gemäßigteren Kurs zurück.
Selbst den Anspruch als moralisch gefestigtere Truppe aufzutreten als die CSU, können die Freien Wähler nach diversen Affären von Abgeordneten – Trunkenheitsfahrten, Betrügereien – nicht mehr aufrecht erhalten.
Wenn die Freien Wählern aber ihren Politik-Ansatz beschreiben, dann dreht sich alles um die Schlüsselbegriffe „pragmatisch“ und „unideologisch“. Es ist das Konzept, das sie aus der Kommunalpolitik kennen: Wenn in einer Gemeinde ein Kanal rechts oder links von der Straße gebaut werden muss, ist das keine Frage der Ideologie. Da setzt man sich mit allen zusammen und sucht die beste Lösung für alle.
Die Betonung der „Ideologiefreiheit“ im Gegensatz zur CSU erscheint etwas verkrampft. Denn die Wurzeln und der Gesellschaftsentwurf der beiden Parteien sind die gleichen: Konservativ und wertgebunden. Schließlich waren viele Freie Wähler früher selbst bei der CSU. Nur verstehen die Freien Wähler offenbar etwas besser, was in den ländlichen Regionen gefragt ist.
Zum Beispiel verlässliche Mobilfunk- und Internetverbindungen, eine sichere ärztliche Versorgung und Krankenhäuser. Oder keine Stromtrassen aus dem Norden, sondern dezentrale Energieversorger, von denen sogar die Gemeinden vor Ort profitieren könnten. Deshalb hatte der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer 2013 auch ein Heimatministerium im Freistaat gegründet und reichlich Geld für die Infrastruktur locker gemacht. Schließlich leben – laut Heimatbericht – immer noch 56 Prozent der Bayern in ländlichen Regionen.
Die Ministeriumsgründung und die Fördergelder reichten aber offenbar nicht aus. Die Freien Wähler legten zu, ihre Forderungen werden aber auch nicht zu größeren Konflikten mit dem großen Koalitionspartner führen. Man will im Prinzip das gleiche.
Mit der dritten Startbahn eilt es laut Lufthansa-Chef nicht
Auch die Kernforderung nach gebührenfreien Kindertagesstätten wird die CSU erfüllen können. Sie hat gerade ihre sozialpolitische Freigiebigkeit unter Beweis gestellt. Nach der Einführung des Pflegegelds und des Familiengelds kommt es auf diese Kosten (die vielleicht die Kommunen tragen müssen) auch nicht mehr an. Selbst Aiwangers rigorose Absage an den Ausbau des Münchner Flughafens um eine dritte Startbahn wird Söder keine schlaflosen Nächte bereiten. Er hat sich schon als Finanzminister nicht durchringen können, das Projekt auf den Weg zu bringen. Und inzwischen hat auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr signalisiert, dass es nicht eilt. Ende der 2020er-Jahre wäre offenbar noch früh genug.
Bequem ist für Söder auch, dass sich die Sonderrolle des Freistaats in der Bundespolitik aufrecht erhalten lässt. Wie die CSU müssen sich auch die Freien Wähler nicht bei einer übergeordneten Bundesorganisation rechtfertigen. Eine Selbstblockade im Bundesrat durch erzwungene Stimmenthaltungen ist bei der „Bayern-Koalition“ nicht zu befürchten. So birgt vorerst nur die Personalfrage Konfliktstoff: Wie viele Ministerien fallen ab, bekommt Aiwanger ein „Superministerium“ oder gelingt Söder schon jetzt, die Freien Wähler klein zu halten?