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Hamburg Bürgerschaftswahl in Hamburg

Die Wohnungsbaukonzepte der Parteien

André Poitiers hat in Hamburg zahlreiche Gebäude realisiert, etwa die Umgestaltung des Jungfernstiegs André Poitiers hat in Hamburg zahlreiche Gebäude realisiert, etwa die Umgestaltung des Jungfernstiegs
André Poitiers hat in Hamburg zahlreiche Gebäude realisiert, etwa die Umgestaltung des Jungfernstiegs
Quelle: Bertold Fabricius/Pressebild.de
Wohnungsbau ist neben Verkehr das Top-Thema im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf. Der Hamburger Architekt und Stadtplaner André Poitiers analysiert für WELT die Programme der Parteien.

Noch Anfang dieses Jahrtausends hätte wohl kaum jemand prophezeit, dass Wohnungsbau einmal ein so zentrales Thema im Hamburger Wahlkampf sein würde. Zwar stiegen schon damals die Mieten und Immobilienpreise, aber bei weitem nicht so rasant. Nun ist der Markt so gut wie leergefegt, besonders in den urbanen Zentren Hamburgs, weil dort Flächen nur begrenzt zur Verfügung stehen.

Mit den Preisen nimmt auch die Angst der Menschen vor sozialer Verdrängung zu, die Politik steht entsprechend unter Handlungsdruck. Gleichzeitig sehen aber viele Menschen das allgegenwärtige Bauen auch kritisch, weil Nachbarschaften sich verändern, Grün und Weite verloren geht. Was tun? Architekt und Stadtplaner André Poitiers hat für WELT AM SONNTAG die Programme der Parteien durchforstet und erklärt, worauf es aus seiner Sicht bei der Weiterentwicklung der Stadt ankommt.

Die Stadt ist kein Dorf

Auffällig ist, dass alle Parteien in ihren Programmen die Sehnsucht nach einem Zusammenleben aufgreifen, wie man es vom Dorf kennt. Mit einer Menge von Einzelmaßnahmen soll die Idee der Gemeinschaft in die Stadt implementiert werden. Die CDU will die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, insbesondere an den Magistralen, durch den Bau von Brunnen und Erfrischungsspendern verbessern. Die SPD setzt auf Nachbarschaftstreffs und schöne Plätze, die Grünen wollen Urban Gardening Projekte und vom Bezirksamt subventionierte Nachbarschaftsfeste.

Dazu Poitiers: „Der Ansatz das ‚Dörfliche in der Stadt‘ suchen, klingt romantisch, trifft aber das Wesen der Großstadt nicht so richtig. Denn sie ist von Vielfalt und Zerstreuung gekennzeichnet, von Anonymität und Freiheit“, stellt André Poitiers fest. Selbst auf dem Land existiere das dörfliche Ideal so gar nicht mehr. „Um den Wocheneinkauf zu erledigen, fährt man in das nächste Einkaufszentrum, und was man da nicht bekommt, bestellt man im Internet. 

Nachverdichten allein reicht nicht aus

Alle Parteien wollen neuen Wohnraum schaffen. Nur wie und wo, dazu gibt es unterschiedliche Haltungen. Die CDU will „Potenziale in der Stadt“ nutzen, bevor neue Flächen im Außenbereich der Stadt für Wohnungsbau versiegelt werden. Die SPD möchte neue Flächen im Hamburger Umland erschließen, aber sie setzt auf Nachverdichtung im städtischen Raum entlang großer Straßen. „Sie sagt aber nicht präzise, welche sie damit meint. Die Ludwig-Erhardt-Straße? Der Ring 2? Oder doch lieber die Abteistraße oder die St. Benedict Straße in Eppendorf?“, fragt Poitiers.

Die FDP will in der City die letzten Brachen bebauen und lehnt es ab, neue Flächen zu versiegeln. „Das klingt nach einem Standpunkt der Grünen, ist es aber nicht, denn die Grünen schließen die Erschließung neuer Flächen erstaunlicherweise nicht aus.“ Dass die weitere Flächenversiegelung drastisch reduziert werden muss, ist dabei sogar erklärtes Ziel der schwarzen-roten Bundesregierung. „Die FDP wiederum will die Stellplatzflicht für Neubauten wieder einführen. Das ist eine verkehrspolitische Rolle rückwärts. Eine ‚freie Fahrt für freie Bürger Haltung‘ scheint völlig aus der Zeit gefallen.“ Besser wäre, eine Prämie für jeden nicht gebauten Stellplatz einzuführen, fordert Poitiers. Die Grünen wollen mehr Wohnraum in der Innenstadt schaffen und diese so beleben.

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Das wollen im Übrigen alle Parteien. „Aber es ist eine Illusion, dass es hier große Potentiale gibt. Die Innenstadt lässt sich nur um drei bis fünf Prozent nachverdichten, und darin sind Gewerbe und Gemeinbedarf inbegriffen“, gibt Poitiers zu Bedenken.

Wenn die Stadt wachsen solle, müsse man über die Peripherie nachdenken. „Hier schließt sich aber eine Frage an, auf die keine Partei eine Antwort weiß: Um die Stadt als Zentrum und Mittelpunkt zu erhalten, bedarf es einer starken Verkehrsanbindung. Wenn wir nicht klären, wie diese vielen Menschen von außen in die Mitte der Stadt kommen sollen, stehen alle im Stau und irgendwann kommt keiner mehr.“

Und noch eine große Zukunftsfrage gebe es, die keine der Parteien überhaupt diskutiere: „Wieviel soll Hamburg überhaupt noch wachsen? Was ist verträglich? Wie groß, wie dicht kann die Stadt werden, wenn sie gleichzeitig auch grün und lebenswert sein will und über eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur verfügen soll?“, fragt der Stadtplaner.

Verkehr und Bauten zusammen planen

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Kaum ein anderes Wahlkampfthema beschäftigt die Hamburger so sehr wie die autofreie Innenstadt. Gleichzeitig drücken sich alle Parteien um konkrete Forderungen. Zum Punkt Verkehr in der Innenstadt findet sich in den Programmen von CDU und FDP sowieso relativ wenig. Die Grünen reden mal von Auto-arm, mal von autofrei, eins ist sicher: Dort wo Autos parken, wollen sie Parklets, temporäre Erweiterungsflächen für Fußgänger, Begegnungsräume schaffen, mit Sitzgelegenheiten, Pflanzen und Kräutern, Beleuchtung und Regenschutz.

Die SPD gab vergangene Woche bekannt, dass sie den Jungfernstieg auto- und die Mönckebergstraße busfrei machen wollen, außerdem soll es einen grünen Deckel über dem südlichen Gleisfeld am Hauptbahnhof geben und mehr Wohnungen in der City. „Das sind interessante Überlegungen, gute Ansätze, richtig mutig sind sie nicht. Hier sollte weiter gedacht werden, sagt er. Etwa über die Frage: Was ist Hamburg? Eine Auto-, eine Fahrrad- oder eine HVV-Stadt? „Diese Frage muss beantwortet werden, denn die Antwort entscheidet darüber, wo investiert werden muss“, meint Poitiers.

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Selbst die Geschäftsinhaber in der Innenstadt sind ja nach dem geglückten autofrei-Experiment der Meinung, dass die Autos aus der City verbannt werden sollen. Allerdings werde das nur eine gute Idee sein, wenn das Gleiche fürs Südliche Überseequartier in der HafenCity gelte. „Wenn man mit dem Auto nicht mehr zum Shoppen in die City darf, fährt man eben ins SÜQ, da gibt es ja reichlich Tiefgaragenplätze. Auch hier gelte: „Man muss das große Ganze sehen.“

Die Entwicklung der Magistralen

Alle Parteien sehen die Zukunft der Stadt in der Entwicklung der Magistralen. Man muss dazu sagen, dass Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing bereits deutlich gemacht hat, wie ernst es ihm mit dem Thema ist, indem er es zum Thema des Bauforums gemacht hat. Klar ist: Um diese brachliegenden Potenziale will man sich kümmern.

„Dennoch fehlt den Parteien ein schlüssiges Konzept“, stellt Poitiers fest. „Was will man genau? Mehr Wohngebäude, die man ein bisschen aufhübscht? Allerdings flaniert es sich schlecht in den Abgasen und dem Lärm der Pendlerautos, egal wie nett gepflastert der Gehweg ist“, sagt er. Die Parteien sind sich einig: Weniger Autos ja, aber die Magistralen sollen trotzdem weiter den Verkehr in die Innenstadt schaufeln. „Was ja spätestens dann absurd wird, wenn man in der Innenstadt keinen Verkehr mehr zulassen will. Wo sollen die Autos, die über die „Lebensader“ in die City kommen, denn dann hin? Parken die dann alle am Holstenwall?“ fragt der Stadtplaner und rät: „Wer Magistralen neu denken will, muss sie anders denken. Dann gehören sie nicht mehr den Autos, sondern der Stadtbahn. Und den Fahrradfahrern und den Fußgängern.“

Auch wenn es in der Stadt schwer falle, große Dinge zu verwirklichen, sollte hier in mutig in anderen Dimensionen gedacht werden. Was es bräuchte, ist ein leistungsfähiges Verkehrssystem, welches auf den Magistralen fahren könnte, um dort einen Wechsel zwischen Autos, auf die man in der Peripherie nicht verzichten kann, und öffentlichem Nahverkehr zu ermöglichen. In Kopenhagen wird eine Stadtbahn gebaut, die alle 90 Sekunden auf einer Hauptverkehrsader fährt, automatisch, fahrerlos. „Nur so lässt sich auch das Ziel der autofreien Innenstadt erreichen. Wer dann trotzdem noch mit dem Auto in die Stadt fahren will, muss eine sehr teure City-Maut bezahlen“, so Poitiers. Städte wie London, aber auch Amsterdam machen es längst vor.

Nur sozial durchmischte Quartiere sind lebendig

Dass Mietpreise bezahlbar sein sollen, ist ein ehrenwertes Ziel, das alle Parteien haben. Die Regierungsparteien setzen z.B. auf über 2000 neue Saga-Wohnungen, soziale Erhaltensverordnungen, Erbbaurecht und in Einzelfällen auch auf das Vorkaufsrecht der Stadt. Das Wahlprogramm der SPD ist die Fortsetzung der im Wohnungsbau erfolgreichen Regierungspolitik der SPD/Grünen Koalition der letzten Legislaturperiode. „Der – tatsächlich sehr gute – Drittelmix wird fortgeschrieben, Saga und Genossenschaften sollen gestärkt werden.

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Klar fordern die anderen Parteien hier was anderes und dort was anderes. Fakt ist: Hamburg macht hier schon vieles richtig.“ Unterscheide tauchen in Detailfragen auf. Zur Mietpreisbindung für geförderte Neubau-Wohnungen sagt die SPD: „bis zu 30 Jahren“; die Grünen sagen: „nur noch 30 Jahre“. „Vielleicht liegt die Lösung darin, je nach Quartier und Umgebung die Bindungsdauer auszuwählen, um eine soziale Durchmischung zu sichern“, glaubt Poitiers.

Der Baum als Retter der grünen Stadt

JJede Partei will jetzt Bäume pflanzen, am besten gleich zu Tausenden. Die CDU fordert, jährlich tausend neue Bäume zu pflanzen und zusätzlich einen neuen Baum pro Wohnung. Hätte man das im Baakenhafen gemacht, dann wäre dort eine lockere Bebauung entstanden mit viel Grün – so, wie man das in den fünfziger, sechziger Jahren in Rothenburgsort geplant hat, das aus heutiger Perspektive angenehm luftig wirkt.

Stattdessen gibt es im Baakenhafen einen einzigen 1,6 Hektar großen Park mit circa 100-150 Bäumen. Bei 2100 geplanten Wohnungen im Baakenhafen hätte man die Quotenbäume allein an den Straßenrändern nicht pflanzen können. Man hätte also zwangsläufig weniger dicht bauen oder einen weiteren Park schaffen müssen – was eine ziemlich gute Idee gewesen wäre, aber dann hätte man das anvisierte Ziel an neuen Wohnungen nicht erreicht“, schlussfolgert der Architekt.

Die CDU kommt mit ihrem Konzept auf Den radikalsten Vorschlag macht die FDP: Ein Baum pro Kind, das in Hamburg geboren wird, soll netto zum Baumbestand dazu kommen. Das macht 25.000 Bäume pro Jahr. Zum Vergleich: Im ganzen Stadtgebiet gibt es circa eine Million Parkbäume und 220.000 Straßenbäume. In fünf Jahren hat man damit zehn Prozent mehr Bäume in der Stadt. Wenn die FDP das durchsetzt, muss man nicht befürchten, dass Hamburg seinen Charakter als grüne Stadt verliert. Poitiers hat nichts gegen die vielen Bäume, sagt aber auch: „Man sollte sich dringend Gedanken machen, wo denn diese vielen Bäume gepflanzt werden sollen. Soll es eine Verdichtungsoffensive bei den Straßenbäumen geben? Oder doch lieber neue Parks, neue grüne Verbindungen zwischen den Parks?“

Sein Vorschlag: „Man könnte bei den Magistralen anfangen, die eingeschossigen Gebäude durch Mehrfamilienhäuser im Drittelmix ersetzen, auf der Straße die Spurenzahl verringern und auf dem gewonnenen Platz parkartige Streifen mit einer wachsenden Zahl von Bäumen schaffen. Dort würden tatsächlich auch Menschen gerne flanieren oder entlang der grünen Lebensader zur Arbeit radeln und gleich daneben surrt die neue Stadtbahn vorbei.  Und wenn noch jemand Durst haben sollte, trinkt er aus den neuen Wasserspendern.“

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: WELT AM SONNTAG

Aufgezeichnet von Eva Eusterhus

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