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  4. Wie der Fotograf Andreas Teichmann Deutschland beim Wandern erlebte

Deutschland Wandernd durchs Land

„Die Deutschen sind ungeheuer lokalpatriotisch“

Der renommierte Fotojournalist Andreas Teichmann wanderte 2270 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland. Die dabei entstandenen Aufnahmen sind eine Hommage an seine Heimat. Ein Gespräch über Windräder, Wassernot und Wölfe.
Reiseredakteurin
Hung und seine Frau Trang, beide aus Vietnam und seit 20 Jahren in Deutschland. lassen Hochzeitsbilder vor Dresdens Altstadt von sich machen Hung und seine Frau Trang, beide aus Vietnam und seit 20 Jahren in Deutschland. lassen Hochzeitsbilder vor Dresdens Altstadt von sich machen
Hung und seine Frau Trang, beide aus Vietnam und seit 20 Jahren in Deutschland. lassen Hochzeitsbilder vor Dresdens Altstadt von sich machen
Quelle: Andreas Teichmann

Es war ein Jugendtraum von Andreas Teichmann, Deutschland zu durchwandern. Als Fotograf für große Zeitschriften habe er „schnell Bilder im Kopf, wie etwas aussehen könnte“. Doch beim Wandern sei alles zufällig und spontan, sagt der 52-Jährige. Mehr als drei Monate lief er bis zu zwölf Stunden täglich – mit Großbildkamera und Aufnahmegerät im Rucksack. Die Fotografien, die dabei entstanden, sind in einem bildgewaltigen neuen Buch zu sehen.

WELT: Als Fotojournalist sind Bilder Ihre Sprache. Warum gibt es auch QR-Codes in Ihrem Buch?

Andreas Teichmann: Mir ist das Echte wichtig, gerade in diesen Zeiten der Bilderfluten und Bildbearbeitungsmöglichkeiten. Ich will die Stimmung einer Begegnung, eines Momentes möglichst authentisch wiedergeben und ergänze die Fotos nicht nur mit Begleittexten, sondern nenne auch Ort und Zeitpunkt der Aufnahme. Und die O-Töne der von mir Porträtierten, die per Mobiltelefon über die QR-Codes im Buch abrufbar sind, verstärken den optischen Eindruck des Bildes noch einmal.

Nebenbei vermitteln sie auch einen Eindruck von der sprachlichen Vielfalt in unserem Land, vom Allgäuer Dialekt bis Sylterfriesisch. Auf meinen zwei Touren, einmal von West nach Ost und dann nochmals vom südlichsten zum nördlichsten Zipfel des Landes, habe ich an jedem Wandertag einen anderen Zungenschlag gehört, also rund 100 dialektale Einfärbungen, wie Linguisten sagen.

Der Fotograf Andreas Teichmann wanderte von Aachen nach Zittau und von Oberstdorf nach Sylt
Der Fotograf Andreas Teichmann wanderte von Aachen nach Zittau und von Oberstdorf nach Sylt
Quelle: Andreas Teichmann

WELT: Fühlten Sie sich irgendwo besonders wohl oder gar heimisch?

Teichmann: Sehr häufig sogar. Aber nicht wegen der Mundarten, wenn Sie darauf anspielen. Ich fühlte mich immer dann besonders wohl, wenn die Landschaft abwechslungsreich war und das Wetter stimmte.

Das war vor allem in Nordhessen der Fall, an den nördlichen Ausläufern der Rhön und in Thüringen. Also ziemlich genau in der Mitte Deutschlands, wo ich gleich zweimal lang kam. Aber auch Menschen können Heimat vermitteln. In Thüringen etwa empfand ich die Leute als auffallend hilfsbereit und zugewandt, viele grüßten einen dort, selbst megacoole Teenager.

WELT: Hatten Sie denn missmutig gestimmte Ossis erwartet?

Teichmann: Ich bin so unbefangen wie möglich losgezogen und versuchte deshalb, unvoreingenommen und ohne Erwartungen auf die Menschen zuzugehen. Klar, spürte ich unterschiedliche Stimmungen im Land. Wenn ich etwa durch Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit oder Überalterung lief, gab es mehr sichtbare Armut und die Gespräche drehten sich oft um die persönliche Existenz.

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Was ich aber in der Tat öfters im Osten mitbekam, war die Landflucht der jüngeren Einwohner. Dort gibt es viel Leerstand von Ladenlokalen und Häusern, und großflächige Stellenanzeigen für Azubis kleben an den Fassaden. Ich bin auf alte Menschen getroffen, die ihren Garten ausschließlich für Gemüse und Obst nutzen, um Geld zu sparen.

WELT: Der Fotoband steht unter dem Titel „Durch Deutschland“, im Begleittext dazu steht, dass es eigentlich kein „typisch deutsch“ gebe, weil sich die Menschen am stärksten mit ihrer Region identifizierten. Gilt das für alle Landstriche, die Sie auf Ihren Wanderungen kennenlernten?

Teichmann: Absolut, die Leute sind ungeheuer lokalpatriotisch, aber sie interessiert nicht Nordrhein-Westfalen oder Hessen, sondern Bergisches Land, Sauerland, Waldecker Land. Als ich mal im Gespräch sagte, „hier im Bergischen Land“, kam sofort der Hinweis „nein, hier ist längst das Oberbergische, da hinten ist doch die Grenze“.

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WELT: Und was ist deutschlandweit ähnlich und verbindend?

Teichmann: Aus Fotografensicht würde ich den großen Anteil von belebter Natur nennen, die gibt es in allen Regionen gleichermaßen. Dass unser Land zu 80 Prozent aus Wald, Wiesen und Feldern besteht, wusste ich. Aber zu welch atemberaubend schönen und abwechslungsreichen Panoramen sich diese unbebauten Flächen fügen, überraschte mich dann doch.

WELT: Gibt es hierzulande – ähnlich wie in Südfrankreich – sehr helle, sprich heitere Landstriche und im Vergleich dazu eher düstere?

Teichmann: Viel hängt tatsächlich mit dem Licht zusammen. Es bestimmt unsere Wahrnehmung. Der Begriff Photographie leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet: Zeichnen mit Licht. Es gibt drei wesentliche Faktoren, wie sich das Sonnenlicht auf ein Bild auswirken kann: Die Uhrzeit – die goldene Stunde zum Sonnenaufgang und -untergang. Gefolgt von der blauen Stunde, kurz bevor es stockdunkel wird. Beides beeinflusst die Farbigkeit des Motivs.

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Dann der Standpunkt des Fotografen: Gegenlicht gibt eine wunderbare Dramatik durch Schattenwurf und Kontrast. Und schließlich die Luftreinheit: In Gebieten mit wenig Luftverunreinigungen oder nach einem Regenschauer ist das Licht wesentlich klarer und kontrastreicher als im Dunst. Farben und Details treten hervor und vermischen weniger.

Die ersten beiden Faktoren konnte ich bestimmen, nicht jedoch die Luftreinheit; die war abhängig von der geografischen Lage, also Küste, Flachland oder Gebirge, und vom Industrialisierungsgrad. Aber wie die Bilder auf einen Betrachter wirken, heiter oder düster, ist letztlich subjektiv.

Anton Eckl, hier im Wald am Fischbach bei Stocken, hat bei Spaziergängen sein Lieblingsspielzeug, einen Akkubohrer, immer dabei
Anton Eckl, hier im Wald am Fischbach bei Stocken, hat bei Spaziergängen sein Lieblingsspielzeug, einen Akkubohrer, immer dabei
Quelle: Andreas Teichmann

WELT: Zu den objektiven Eindrücken beim Blättern in Ihrem Bildband gehört der Fakt, dass nur eines der 100 Bilder ein Windrad zeigt. Stören die Anlagen Ihr ästhetisches Empfinden?

Teichmann: Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Alle meine Motive entstanden zufällig auf der Strecke. Natürlich habe ich auch etliche Windräder gesehen und fotografiert. Dass es diese Bilder nicht ins Buch geschafft haben, liegt daran, dass meine Priorität auf den spannendsten 100 Begegnungen mit Menschen und Landschaften lag.

WELT: Hatten Sie das von Anfang an so geplant?

Teichmann: Am Anfang der Wanderung hatte ich lediglich meinen Zielort definiert, sonst nichts. Wer und was mir wann und wo begegnete, war völlig ergebnisoffen. Ich habe mich einfach treiben lassen im Rhythmus und in der Geschwindigkeit des Gehens, eine unbeschwerte Erfahrung, die man wahrscheinlich zuletzt als Kind hatte.

Gab es etwas zu entdecken und bestaunen, habe ich mich darauf eingelassen. Und magischerweise ergab diese Methode die meisten der im Buch abgebildeten Bilder. Wäre ich nur einen Tag früher oder später losgegangen, wären meine Begegnungen andere gewesen, ich hätte andere Menschen getroffen, andere Fotos gemacht – so ähnlich wie im Film „Lola rennt“. Jede Entscheidung ändert buchstäblich den Lebensweg.

Auf der Reeperbahn in Hamburg: Die Freundinnen Laura, Cristina, Sirka und Annika sind auf dem Weg zu einem Konzert
Auf der Reeperbahn in Hamburg: Die Freundinnen Laura, Cristina, Sirka und Annika sind auf dem Weg zu einem Konzert
Quelle: Andreas Teichmann

WELT: Sie sind also einfach so ins Grüne hinein gelaufen?

Teichmann: Mehr oder weniger schon, ich hatte meine Routen nur grob abgesteckt: Ausgangspunkt der ersten Wanderung sollte Aachen im Westen sein und das Ziel Zittau im Osten. Die zweite Wanderung begann ich ganz im Süden, am Haldenwanger Eck bei Oberstdorf, und legte Sylt im Norden als Ziel fest.

Zur Orientierung unterwegs nutzte ich Komoot-App, damit war das tägliche Prozedere leicht und auch immer gleich: Morgens gab ich auf der App mein Endziel ein, also Zittau oder Sylt. Dann schaute ich mir nur die ersten 20 Kilometer an und suchte dort einem Ort zum Übernachten. Meine eiserne Regel war, erst ein Zimmer für die Nacht zu buchen und dann loszulaufen.

WELT: Klingt eigentlich simpel.

Teichmann: In der Theorie, aber manchmal brauchte ich schon einige Zeit für die Zimmersuche, vor allem in Schleswig-Holstein. Denn der kürzeste Weg nach Sylt führte mitten durch die am dünnsten besiedelten Regionen. Statt meiner üblichen 20 musste ich deshalb bis zu 30 Kilometer am Tag laufen, um abends eine Unterkunft zum Essen und Schlafen zu haben. Und zum Waschen meiner Sachen. Ich hatte ja nicht viel dabei, weil allein schon die technische Ausrüstung zwölf Kilo wog. Und mehr als 15 Kilo wollte ich nicht tragen, selbst auf Proviant verzichtete ich deshalb.

Auf Sylt liegt der nördlichste Punkt Deutschlands. Er ist markiert durch eine einfache Holztafel
Auf Sylt liegt der nördlichste Punkt Deutschlands. Er ist markiert durch eine einfache Holztafel
Quelle: Andreas Teichmann

WELT: Lernten Sie so die kulinarischen Feinheiten deutscher Imbisse und Schänken kennen?

Teichmann: Das dachte ich auch. Ein großer Fehler! Manchmal zog ich durch Dörfer ohne Gastwirtschaft, Supermarkt oder Kiosk. Ständig schaute ich, wo ich Wasser bekommen könnte. Ich füllte meine Flasche an Friedhofsbrunnen auf, selbst wenn sie noch halb voll war. Gelegentlich klingelte ich auch bei fremden Menschen. Dankbar für die kleinen Dinge im Leben zu sein – nach Hunderten Wanderkilometern habe ich es gelernt. Ich weiß jetzt, wie süß Birnen von Straßenbäumen schmecken und auch, wie ungefährlich das Wandern in Deutschland ist.

WELT: Kein Wildschwein, kein Wolf kreuzte Ihren Weg?

Teichmann: Nein, meine schlimmste Begegnung mit Tieren hatte ich mit einem wütenden Hofhund, zum Glück lag er an der Kette. Regen, Matsch und überhaupt Wetterumschwünge, die waren wirklich unangenehm beim Wandern, da litten meine Nerven, auch wegen der Ausrüstung, die nicht nass werden durfte. Andererseits hat Regen auch sein Gutes für Fotografen.

WELT: Weil, Stichwort Luftreinheit, die besten Fotos nach einem reinigenden Guss entstehen?

Teichmann: Ja, wenn denn auch alles andere stimmt, das Motiv, der Lichteinfall, die Topographie. Packt man dann die Technik aus, ist das Phänomen aber schnell wieder verschwunden. Das ging mir oft so, bis zum 46. Wandertag.

Ich war in der Sächsischen Schweiz bei Hohburkersdorf, als sich eine atemberaubende Regenwolke über das Land auf mich zubewegte. Diesmal war ich schnell genug und mir gelang eine Aufnahme, die zu einer meiner liebsten jemals gemachten Aufnahmen zählt. Das Bild hängt als drei Quadratmeter großer Druck in meiner Ausstellung und selbst so großgezogen ist die Schärfe enorm, man glaubt, einzelne Tropfen erkennen zu können.

Hohburkersdorf: Aussicht vom "Rundblick" in der Sächsischen Schweiz auf einen durchziehenden Regenschauer
Hohburkersdorf: Aussicht vom "Rundblick" in der Sächsischen Schweiz auf einen durchziehenden Regenschauer
Quelle: Andreas Teichmann

Der Bild- und Erzählband „Durch Deutschland. Zwei Wanderungen in 101 Tagen“ ist in der Edition Bildperlen erscheinen, 120 Seiten, 55 Euro. Das Buch beinhaltet 100 groß- und 40 kleinformatige Aufnahmen von Andreas Teichmann; der renommierte GEO-Fotograf war 2017 von Aachen nach Zittau und 2019 von Oberstdorf nach Sylt gelaufen. Zu 36 Fotos im Buch, die auf der zweiten Wanderung entstanden, gibt es QR-Codes im Buch, die per Smartphone abrufbar sind. So können die Betrachter Teichmanns Wanderabenteuer auch akustisch erleben, bildperlen.de/durch-deutschland.

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Quelle: WELT / Sebastian Struwe

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