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Meinung Rassismus im Stadion

Der Fußball hat ein Problem, aber er kann es nicht lösen

Leroy Sané (M.) muss im Spiel gegen Serbien rassistische Schmährufe über sich ergehen lassen Leroy Sané (M.) muss im Spiel gegen Serbien rassistische Schmährufe über sich ergehen lassen
Leroy Sané (M.) muss im Spiel gegen Serbien rassistische Schmährufe über sich ergehen lassen
Quelle: dpa
Rassisten halten ihre Schimpfworte für einen Eckpfeiler der Meinungsfreiheit. Der Fußball scheint machtlos. Gerade jetzt fehlt einer wie der aussortierte Nationalspieler Hummels sehr.

Mats Hummels ist kaum weg, und schon wird er schmerzlich vermisst. Als Abwehrchef der Nationalmannschaft wäre der Ex-Weltmeister vielleicht zu ersetzen – aber nicht als Abwehrchef gegen die Rassisten und Rechtsaußen auf den billigen Plätzen. „Die müssen wir aus dem Stadion rauskriegen“, hat er verlangt.

Das war vor zwei Jahren. Das DFB-Team spielte damals in Tschechien, und so gut wie im Stechschritt marschierte eine Horde von Hooligans in Prag ein, mit zum deutschem Gruße gereckten Armen und lautem „Sieg-Heil“-Gebrüll, offenbar wollten sie den Zweiten Weltkrieg irgendwie doch noch gewinnen. Hummels war nicht der Kapitän der Mannschaft. Aber ein paar andere brachten das Maul nicht auf, also stand er als Aufrechter seinen Mann und fragte wütend in Richtung der Rabauken: „Muss man sich diesen Scheiß anhören?“ Dermaßen voranmarschiert ist Hummels, dass auch DFB-Präsident Reinhard Grindel und Bundestrainer Joachim Löw nach anfänglichem Zögern das richtige Wort zum rechten Mob fanden: „Wir sind nicht eure Mannschaft.“

Jetzt ist Hummels nicht mehr da, aber mit seiner klaren Kante zur damaligen Schande hat er wenigstens ein paar mutige Junge infiziert. Als vor ein paar Tagen beim Serbienspiel drei dubiose Gestalten auf der Wolfsburger Tribüne mit der verbalen Rassenkeule auf Leroy Sané und Ilkay Gündogan eindroschen, ging beispielsweise Leon Goretzka empört an die Front, und Serge Gnabry verlangte: „Wir alle müssen dagegen vorgehen.“

22.03.2019, Niedersachsen, Wolfsburg: Fußball: Nationalmannschaft, Pressekonferenz vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande. Deutschlands Leon Goretzka (l) und Marco Reus sprechen zu Journalisten. Foto: Peter Steffen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Leon Goretzka (l.) und Marco Reus
Quelle: dpa

Die Frage ist nur: Wie?

Fan- und Hirnforscher fürchten nämlich: Es ist leichter, einen Pudding an die Wand zu nageln, als einen Rassisten im Rahmen der Diskussion zu bekehren. Der DAZN-Kommentator Andre Voigt, der den ekligen Vorfall in Wolfsburg hautnah erlebt und aufgedeckt hat, hat das versucht. Er ließ sich mit den Sportsfreunden, die Sané beschimpften, auf eine Debatte ein und wollte sie mit Argumenten überzeugen, die normalerweise sogar ein Sack Kartoffeln auf Anhieb versteht – aber die drei bestanden darauf, dass „Neger“ kein Schimpfwort sei.

Dämme der Toleranz brechen weltweit

Früher war das so, in der Tat. Noch in den 1960er-Jahren durfte der ZDF-Reporter Werner Schneider beim Boxen mit einem Augenzwinkern ungestraft vermelden: „Den Neger erkennen Sie an der weißen Hose.“ Aber wie gesagt, das war im letzten Jahrhundert. In dem sind die Intoleranten stehen- und steckengeblieben, und deshalb halten sie ihre Schimpfwörter jetzt für einen Eckpfeiler der Meinungsfreiheit und heben beim Gedankenaustausch notfalls das Bein wie Nachbars Lumpi. Stefan Kuntz beschrieb das Problem einmal auf seine Art. Als Chef des 1. FC Kaiserslautern schäumte der Exeuropameister, als ein paar entgleiste Fans auf dem Betzenberg den israelischen FCK-Stürmer Itay Shechter mit dem Hitlergruß bedachten: „Die Mutter der Dummen ist immer schwanger.“

Jedenfalls stellt sich die Frage: Wie soll man mit Leuten diskutieren, die (wie in Wolfsburg vom Ohrenzeugen Voigt geschildert) mitten im Spiel „Sieg Heil“ rufen – und sich „den kleinen Österreicher“ zurückwünschen, der die Welt mit Millionen Toten so gut wie in die Luft gejagt hat?

Auf dieser Welt passieren immer öfter Dinge, auf die es keine Antwort gibt – und der Fußball hat ein großes Problem: Er ist ein Teil dieser Welt.

Wir sind mittlerweile schon so weit, dass sich die Anständigen raushalten, wenn auf den Rängen der Rassenkrieg ausbricht. Es gibt keinen Widerspruch mehr, keine Gegenrede, keiner greift mehr ein, wenn Gündogan als „Türke“ verflucht wird. Diese Gleichgültigkeit mag mit Mesut Özil zu tun haben, der sich Erdogan neuerdings angeblich schon als Trauzeugen vorstellen kann. Und dass Özil zur Selbstverteidigung gerne die Rassenkarte zieht, betrachten nicht nur die Rassisten hierzulande als Provokation ihrer deutschen Seele. Aber das ist nur eine nationale Petitesse – die Dämme der Toleranz brechen weltweit.

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Für helle Aufregung sorgte vor ein paar Tagen in der US-Basketballliga ein Video mit Russell Westbrook, dem dunkelhäutigen Star der Oklahoma City Thunder. Man sieht, wie er (wir sagen es aus Jugendschutzgründen auf Englisch) einen Fan während des Spiels brüllend bedroht: „I’ll fuck you up!“ Westbrook wurde, wie sich inzwischen herausgestellt hat, von besagtem Fan seit Langem verfolgt mit hasserfüllten Tweets – als „Stück Scheiße“ wurde er darin beleidigt, und dass ihm ein „Tritt in den Arsch“ gehört. Ein Gruß hieß: „Er soll dorthin zurück, wo er herkommt#MAGA.“

MAGA ist die Kurzform des Trump-Slogans „Make America Great Again“, und bei vielen regt sich nun der Verdacht, dass sich da ein zorniger Sportskamerad durch die Visionen des US-Präsidenten plötzlich ermutigt fühlt zu Dingen, die er sich früher nie zu sagen traute. Dass ein solcher Trend im Rahmen des Schneeballeffekts dann auch vollends auf uns übergreift, hat schon der legendäre US-Automobilmanager Lee Iacocca mit dem Satz angedeutet: „Wenn Amerika hustet, kriegt der Rest der Welt Schnupfen.“

Die Rassisten sind diesbezüglich besonders gefährlich, denn sie stecken sich auch gegenseitig an. Der Westbrook-Verfolger wurde mittels eines Hallenverbots zwar inzwischen verbannt, aber das heißt nichts, denn Rassisten vermehren sich rasch.

Zum Fußball gehören sie längst wie der Ball. Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, ohne dass über Rassismus oder Antisemitismus berichtet wird oder der Staatsschutz eingreifen muss, weil beispielsweise Almog Cohen, der jüdische Kapitän des Zweitligisten FC Ingolstadt 04, zum Opfer abscheulicher Hassbotschaften wird – oder weil es im Namen des Fußballs im Stadion in Chemnitz für einen verstorbenen Fan aus der rechten Szene zu einer Gedenkfeier kommt, die vielen eine Gänsehaut über den Rücken jagt.

„Eine Schande“

Der Fußball reagiert dann mit Entsetzen und Empörung wie auf die Rassisten in Wolfsburg, flankiert meistens von dem verächtlichen Verdacht, dass solche Menschen nicht zu den hellsten Kerzen im Kronleuchter zählen – aber Ewald Lienen hat, als weit gereister Trainer, diesbezüglich vor übertriebenen Erwartungen immer gewarnt: „Es bringt nichts, solche Leute als Vollidioten zu bezeichnen.“

Es gibt keine Lösung. Die beste ist immer noch die von Dani Alves. Dem Brasilianer von Paris St. Germain pfiffen, als er noch in Spanien spielte, einmal die zwei besten Argumente der Rassisten um die Ohren, also „Affe!“ und „Uhh-Uhh-Uhh!“, und an der Eckfahne flog ihm auch noch eine Banane vor die Füße. Er hob die Südfrucht auf, schälte sie, aß sie, schlug danach den Eckball und sagte hinterher: „Man kann nur lachen über diese Zurückgebliebenen.“ Aber nicht alle schaffen es. Vor sechs Jahren verließ Kevin-Prince Boateng aufgrund des anhaltenden Urwaldgebrülls bei einem Spiel in Italien den Platz. „Dass es sowas 2013 noch gibt“, sagte der Deutsch-Ghanaer, „ist eine Schande.“

Jetzt haben wir 2019, und das Theater der Rassisten wird immer schlimmer. Auf die alte Frage von Mats Hummels („Muss man sich diesen Scheiß anhören?“) gibt es nur eine Antwort: ja. Der Fußball hat ein Problem, aber er kann es nicht lösen.

Die Welt muss es lösen.

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