Die Nachricht hat im deutschen Fußball große Betroffenheit ausgelöst. Wie am Montag bekannt wurde, ist Manfred Burgsmüller bereits am Samstag in seiner Heimatstadt Essen im Alter von 69 Jahren verstorben. Burgsmüller erzielte 213 Bundesligatore, davon 135 für Borussia Dortmund. Es ist jedoch besonders seine Art, die unvergessen bleiben wird: Burgsmüller, der noch als 38-Jähriger mit Werder Bremen Deutscher Meister wurde, war ein Schlitzohr – wahrscheinlich sogar das größte überhaupt.
Wer ein echtes „Schlitzohr“ auf dem Fußballplatz ist, erntet zwar eine gewisse Bewunderung, macht sich auch leicht Feinde. Manfred Burgsmüller, der wahrscheinlich größte Filou, der die Bundesliga je bereichert hat, konnte diese Erfahrung schon sehr früh – als kleiner Junge beim Kicken in den Straßen seiner Heimatstadt Essen – machen. Es bereitete ihm schon damals ein diebisches Vergnügen, seinen meist größeren und kräftigeren Gegnern aus der Nachbarschaft den Ball durch die Beine zu spielen. Das gefiel nicht allen.
Einmal gab es dafür sogar Prügel. Er sei heulend nach Hause gekommen und habe seinem großen Bruder gesagt: „Horst, die haben mich verprügelt, weil ich sie getunnelt habe.“ Horst habe die Sache dann in die Hand genommen, vertraute Manni vor einigen Jahren dem Magazin „11 Freunde“ an.
Viele Jahre später wäre es fast wieder so weit gewesen. Am 21. März 1986, Burgsmüller spielte mit Werder Bremen gegen den 1. FC Kaiserslautern, gelang ihm einer der kuriosesten Treffer überhaupt. Und wäre Gerry Ehrmann, der muskelbepackte Lauterer Torwart, nicht von seinem Trainer und den Teamkollegen sehr eindringlich zur Ordnung gerufen worden, hätte wohl auch der große Bruder nicht mehr helfen können.
„Da seh ich, wie der Gerry vor sich hin pennt“
Burgsmüller erinnerte sich an die 55. Spielminute wie folgt: „Der Ehrmann hält den Ball, ich lieg so neben dem Tor, rappel mich wieder auf und will zurück ins Feld. Da seh ich, wie der Gerry vor sich hin pennt, geh zu ihm und schubs ihm mit der Hand die Pille aus dem Arm. Der Ball fällt auf den Boden – und ich schieb ihn rein.“ Der Treffer zählte – denn ein Videoassistent war damals höchstens ein Kumpel, der dabei half, den Bandsalat aus dem VHS-Rekorder herauszufrickeln.
Burgsmüller hat viele freche Tore erzielt, deshalb haben ihn die Fans geliebt, auch wenn sie nicht Anhänger von Rot-Weiss Essen, Bayer Uerdingen, Borussia Dortmund, dem 1. FC Nürnberg, Rot-Weiß Oberhausen oder Werder Bremen waren, für die er 607 Mal in der Ersten oder Zweiten Liga spielte und dabei 330 Treffer erzielte. Burgsmüller konnte sich scheinbar immer und überall durchsetzen, auch gegen die härtesten und unangenehmsten Verteidiger – weil er ein gutes Auge und ein besonderes Gespür hatte. Weil er im Strafraum einfach immer einen Tick cleverer war.
„Er vereinte alle Facetten, über die ein Torjäger verfügen kann“, sagte Reinhard Rauball, der Präsident der Deutschen Fußball-Liga (DFL), als er von dem unerwarteten Tod des Stürmers erfahren hatte: „Es ist schade, dass er bei der Nationalmannschaft nie jene Wertschätzung erfahren hat, die ihm aufgrund seiner Raffinesse zustand.“
Bundestrainer Schön war er mit 29 Jahren zu alt
Tatsächlich spielte Burgsmüller nur dreimal für Deutschland. Und 1978, als er beim BVB herausragende Leistungen zeigte, nahm ihn Helmut Schön auch nicht mit zur WM nach Argentinien. Die damalige Begründung des Bundestrainers zeigt, wie sehr Burgsmüller damals verkannt wurde: Er sei mit 29 Jahren zu alt, sagte Schön.
Gott sei Dank dachten nicht alle Trainer so. Ende 1985 fuhr Otto Rehhagel – ebenfalls Essener und ebenfalls ein wenig verrückt – nach Oberhausen. Mit einem Schlapphut und einem falschen Bart stellte er sich in die Fankurve des Niederrheinstadions und beobachtete Burgsmüller in der Zweiten Liga. Was er sah, gefiel ihm.
Burgsmüller, mittlerweile 36, wollte zwar eigentlich seine Karriere zum Ende der Saison beenden, doch er ließ sich dann doch überreden, nach Bremen zu kommen. „Es gibt keine alten oder jungen Spieler, sondern nur gute oder schlechte“, pflegte Rehhagel zu sagen. Burgsmüller war ein richtig guter Stürmer: Mit Werder gewann er 1988 sogar seinen ersten Titel und wurde Deutscher Meister. Da war er 38. Erst 1990 beendete er mit 40 Jahren seine Karriere.
Doch auch danach konnte es der Straßenfußballer nicht lassen: Von 1996 bis 2002 versuchte er sich in der damaligen NFL Europe als Kicker bei Düsseldorf Rhein Fire und wurde so mit 52 zum ältesten aktiven Football-Profi weltweit.
Es ist die Art und Weise, in der Manni Burgsmüller seine Tore erzielt hat, die in Erinnerung bleiben wird. Und es ist seine unverwechselbare Art, die unvergessen bleiben wird – weil Schlitzohren in der Bundesliga immer seltener werden. „So einen Mann muss ich lieben“, sagte Rehhagel.
Damit steht er nicht alleine.