Nach dem schlimmsten Hochwasser in Venedig seit mehr als 50 Jahren hat die italienische Regierung in der Lagunenstadt den Notstand verhängt. Das Kabinett habe den Notstand gebilligt, teilte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Donnerstagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter mit.
20 Millionen Euro sollten „für die dringendsten Maßnahmen“ bereitgestellt werden, fügte er hinzu. Weite Teile der Lagunenstadt standen am Donnerstag immer noch unter Wasser. Und für Freitag werden neue Fluten erwartet. Gegen 11 Uhr wird mit einem Pegelhöchststand von 145 Zentimetern über dem normalen Meeresspiegel gerechnet, wie die Kommune Venedig am Morgen twitterte.
Tatsächlich erreicht wurden dann sogar 153 Zentimeter. Die Schulen blieben geschlossen, der Dogenpalast ebenfalls, sowie auch der berühmte Markusplatz. „Ich bin gezwungen, den Platz zu schließen, um gesundheitliche Risiken für die Bürger zu vermeiden“, erklärte Bürgermeister Luigi Brugnaro am Freitag. Dies sei „ein Desaster“.
Das als „Acqua Alta“ bekannte Hochwasser war in der Nacht zum Mittwoch sogar auf einen Pegel von 1,87 Meter gestiegen. Der Markusplatz und die Krypta des Markusdoms standen unter Wasser. Nur einmal seit Beginn der Aufzeichnungen hatte das Wasser noch höher gestanden: 1966 lag der Pegel bei 1,94 Meter. Das von Regen, Wind und den Gezeiten verursachte Hochwasser stieg am Donnerstag nicht noch weiter an, am Freitag sollte es dann bei 1,45 Meter liegen.
Schulen und Museen in Venedig waren am Donnerstag geschlossen. Conte nahm in der Stadt an einer Krisensitzung teil und besuchte Ladenbesitzer, deren Geschäfte durch das schmutzige Salzwasser verwüstet wurden. „Ich lebe davon. Was soll ich sonst machen?“, sagte der 54-jährige Stefano Gabbanato, der seinen Zeitungskiosk am Dogenpalast bis zum nächsten Hochwasser wieder geöffnet hat – und derzeit vor allem Gummistiefel verkauft. Die Hochwasserkatastrophe sei „ein Stich in das Herz unseres Landes“, sagte Conte.
Auf dem Markusplatz wateten unbeirrt Touristen durch die Pfützen und machten Selfies mit den Überschwemmungen im Hintergrund. „Es ist komisch. Touristen machen Fotos, während die Stadt leidet“, sagte die österreichische Touristin Cornelia Litschauer. Der Hongkonger Jay Wong berichtete, seine Venedig-Reise sei durch das Hochwasser „ein Abenteuer“ und eine „tolle Erfahrung“ geworden.
„So was habe ich noch nicht gesehen. Es ist eine Katastrophe. Es ist wie ein Krieg. Wir haben es gewusst“, sagte dagegen der Venezianer Ezio Toffolutti der Deutschen Presse-Agentur. Läden und Supermärkte seien alle im Erdgeschoss, die habe es deshalb schlimm erwischt. „Eine schreckliche Zeit“, sagte der viel in Deutschland tätige Bühnenbildner.
Conte traf am Donnerstag in Venedig auch Kioskbesitzer Walter Mutti, der bei der Flut alles verloren hatte. Bilder hatten gezeigt, wie sein Kiosk in den braunen Wassermassen davon trieb. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo er sein könnte“, sagte Mutti in einem Interview der Zeitung „La Repubblica“ (Donnerstag) auf die Frage nach dessen Verbleib.
Glück im Unglück: Die Geschichte des Kioskbesitzers rührte viele Italiener. Bei einem Online-Spendenaufruf für Mutti kamen innerhalb von zwei Tagen 16.000 Euro zusammen.
Nach dem schlimmen Hochwasser am Dienstagabend waren Einheimische und Touristen in Gummistiefeln durch überflutete Gassen gewatet. Viele Anlegestellen für die berühmten Touristen-Gondeln wurden weggerissen. Ein 78-jähriger Mann wurde durch einen Stromschlag getötet, als Wasser in sein Haus eindrang.
Nach Angaben des Präsidenten der Region Venetien, Luca Zaia, hatten 80 Prozent der Stadt unter Wasser gestanden. Bürgermeister Luigi Brugnaro bezifferte die Schäden auf mehrere hundert Millionen Euro. Conte kündigte vor der Verhängung des Notstandes bereits Entschädigungszahlungen an, die für Bewohner bei 5000 Euro und für Geschäftsleute bei 20.000 Euro liegen sollten.
Brugnaro machte den Klimawandel für die Katastrophe verantwortlich. „Wir müssen widerstandsfähig sein und uns anpassen. Wir brauchen eine Politik, die das Klima mit ganz anderen Augen betrachtet“, sagte nun auch Umweltminister Sergio Costa.
Übernächste Woche soll zudem eine Sonderkommission über die „Probleme Venedigs“ beraten, wie Conte ankündigte. Dabei soll es seinen Angaben zufolge auch um ein geplantes Anlegeverbot für große Kreuzfahrtschiffe und ein umstrittenes Hochwasserschutzsystem gehen, das die Lagunenstadt mit schwimmenden Barrieren schützen soll.
Das Großprojekt Mose ist schon seit 2003 in Bau, aber immer noch nicht funktionstüchtig. Ursprünglich waren dafür zwei Milliarden Euro veranschlagt, mittlerweile hat der Bau schon sechs Milliarden Euro verschlungen. Conte sagte nun, der Bau sei mittlerweile zu 93 Prozent abgeschlossen und „wahrscheinlich“ im Frühjahr 2021 fertig. Zuletzt hatten Ingenieure entdeckt, dass Teile der Konstruktion verrostet waren.
Regionalpräsident von Venetien, Luca Zaia, kritisierte laut „Tagesschau“: Es ist mir ein Anliegen, dass Sie der ganzen Welt sagen, dass 'Mose' nicht unsere Baustelle ist, sondern eine Baustelle des Staates. Wenn 'Mose' endlich seine Arbeit aufnimmt, werden wir sehen, ob es funktioniert oder nicht."