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  3. Wirtschaftszahlen: Bundesländer auch ohne Coronavirus auf Schrumpfkurs

Wirtschaft Schrumpfkurs ohne Pandemie

In diesen Bundesländern ist die Rezession schon real

Finanzredakteur
Wirtschaftsweise fürchten starken Einbruch

Das Coronavirus hat die beginnende Konjunkturerholung im Februar abrupt gestoppt. Wirtschaftsweise fürchten einen Einbruch der Wirtschaft um bis zu 5,4 Prozent.

Quelle: WELT

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Die Corona-Pandemie wird erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Doch nicht an allen Problemen ist das Virus schuld. Selbst industriestarke Bundesländer stecken schon länger in einer Krise – zwei hat es zuletzt besonders hart getroffen.

Konjunkturdaten und -prognosen haben im Moment eine äußerst kurze Haltbarkeitszeit. Die Corona-Pandemie breitet sich 2020 so schnell aus, dass die Auguren kaum hinterherkommen, ihre jeweils angepassten Einschätzungen zu Papier zu bringen.

Und doch lohnt gerade jetzt ein kurzer Blick zurück. Denn neu vorgelegte Wirtschaftszahlen der Bundesländer für 2019 offenbaren, dass der Abschwung in großen Teilen des Landes schon vergangenes Jahr Realität war. Nicht alles an der zu erwartenden Rezession ist virusbedingt. Das bedeutet auch: Nicht überall dürfte sich die Produktion nach dem Ende der akuten Corona-Krise schnell erholen.

Bereits 2019 befand sich die Wirtschaft in zwei deutschen Bundesländern auf Schrumpfkurs, in einer weiteren, wichtigen Industrieregion stagnierte die Produktion. Das geht aus den Daten hervor, die die Statistischen Ämter der Länder zu Wochenbeginn veröffentlicht haben.

Das Bundesland mit der schlechtesten Jahresbilanz war 2019 Rheinland-Pfalz. Das Land, in dem Europas größter Chemiekonzern BASF seinen Sitz hat, musste einen heftigen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,3 Prozent verkraften.

Quelle: Infografik WELT

Für die rheinland-pfälzische Wirtschaft war das ein dramatischer Absturz im Vergleich zum Vorjahr. 2018 waren die Betriebe noch um 1,3 Prozent expandiert. Nicht ganz so schlecht sieht die Jahresbilanz für das Saarland aus – auf den ersten Blick. Die Saar-Ökonomie kontrahierte 2019 um 0,6 Prozent. Allerdings war es für das kleinste Flächenland schon das zweite Minusjahr in Folge.

Einen herben Rückschlag brachte 2019 für Baden-Württemberg. Eine echte Kontraktion konnte die Wirtschaft im Südwesten zwar vermeiden. Doch mit einem Miniplus von 0,1 Prozent schnitt die Industriehochburg unterdurchschnittlich ab. Auch NRWs BIP-Veränderung bewegte sich mit 0,2 Prozent knapp über der Nulllinie. Bayern konnte die Produktion ebenfalls nur unterdurchschnittlich steigern. Insgesamt schaffte Deutschland vergangenes Jahr ein BIP-Plus von 0,6 Prozent.

Die Gründe für die Industrierezession

Während die stark industriell geprägten Landesteile im Südwesten ökonomisch enttäuschten, trumpften die Stadtstaaten auf: Hamburgs BIP stieg um 2,2 Prozent, und in der Hauptstadt Berlin wuchs die Wertschöpfung sogar um drei Prozent.

„Die Zahlen zeigen die Zweiteilung der deutschen Wirtschaft“, sagt Carsten Brzeski, Chefökonom Eurozone der ING. Der Teil der deutschen Wirtschaft, der stark von der Industrie abhängig ist, hänge schon länger buchstäblich in den Seilen. Der andere Teil hingegen, der bei Dienstleistungen stark ist, sei auf Wachstumskurs geblieben und habe die Gesamtwirtschaft 2019 noch vor der Rezession bewahrt.

Für die Industrierezession gibt es mehrere Gründe. So macht Autoherstellern und -zulieferern der Umbruch hin zur Elektromobilität zu schaffen, bei dem Deutschland hinterherhinkt. Auch das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU bringt Unsicherheiten.

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Hauptgrund dürfte aber die Abschwächung des Welthandels sein. Der Austausch von Gütern wird seit rund zwei Jahren durch den Zollstreit zwischen den USA und China beeinträchtigt. Die deutschen Bundesländer unterscheiden sich erheblich, was ihre industrielle Basis anbelangt. So arbeiten in Baden-Württemberg fast 30 Prozent aller Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe, in Bayern und im Saarland sind es rund ein Viertel. In Berlin hingegen verdienen nur rund sieben Prozent der Beschäftigten ihr Geld in der Industrie.

„Alle Bundesländer in einem Boot“

Da die industrielle Produktion wegen der Corona-Maßnahmen derzeit stillsteht und wohl erst in der zweiten Jahreshälfte wieder richtig hochfahren dürfte, ist für das erste Halbjahr 2020 mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung zu rechnen. Ökonomen gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in Gesamtdeutschland im zweiten Quartal um fünf bis zehn Prozent abstürzen könnte.

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Einige Szenarien sehen sogar einen freien Fall der Wirtschaftsleistung auf vielleicht 80 Prozent des Vorkrisenniveaus. In entsprechender Höhe dürften auch die Verluste in den Industrieregionen liegen, die zusätzlich darunter leiden, dass ihre internationalen Lieferketten durch Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen zerschnitten sind.

Wiederum könnten es Baden-Württemberg sowie das Saarland sein, die einen besonders hohen Preis zahlen. „In NRW ist man etwas weniger betroffen, weil die Autoindustrie nicht so eine wichtige Rolle spielt“, sagt Hubertus Bardt, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Für das schwächste Bundesland des Jahres 2019, Rheinland-Pfalz, hingegen könnte Corona zum ernsten Problem werden. Chemieunternehmen liefern häufig in nicht geringem Maße der Autoindustrie zu, Gleiches gilt für die Elektrobranche.

Nach IW-Schätzungen wird das Bruttoinlandsprodukt in Baden-Württemberg und Bayern 2020 wegen des Lockdown um sechs Prozent schrumpfen, im Negativszenario könnte sich das Minus im Südwesten sogar auf zwölf Prozent ausweiten, in Bayern auf elf Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Allerdings ist die bevorstehende schwere Rezession nicht auf das Verarbeitende Gewerbe beschränkt. „Die jetzige Krise wird den Dienstleistungssektor wohl stärker treffen“, vermutet Brzeski. Die Entkopplung, die in den letzten zwei Jahren zu beobachten war, dürfte wohl zu einem abrupten Ende kommen. „Plötzlich sitzen alle Bundesländer wieder in einem Boot“, sagt der ING- Ökonom.

Für den Wachstumschampion des Jahres 2019 heißt das: Berlin könnte in diesem Jahr ökonomisch eine äußerst harte Landung erleben. Die Krise holt die Hauptstadt ein.

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