Während die kleinen Elektrotretroller in den zahlreichen Städten der USA zum Stadtbild gehören, ist Deutschland mal (wieder) Nachzügler. Seit dem 15. Juni dürfen sie unter klaren Auflagen auf Straßen und Radwegen genutzt werden. Das haben wir dann auch getan – sowohl den Scooter von Lime als auch die Modelle von Circ (ehemals Flash), Tier und Voi haben wir uns geschnappt und sind ein wenig damit durch die Stadt gesurrt.
Bevor es losgehen kann, muss die entsprechende App aus dem Google-Play- oder App-Store heruntergeladen werden. Die Anmeldung erfolgt über die Telefonnummer, zudem müssen Sie vor der ersten Fahrt Ihre Debit- oder Kreditkartendaten hinterlegen. Lime unterstützt außerdem Paypal.
Ist alles eingegeben, kann es mit der Ausleihe und der ersten Fahrt losgehen. Alle Anbieter verlangen den gleichen, nicht sonderlich günstigen Preis von einem Euro für das Entsperren und je 0,15 Euro pro Minute.
Ausleihe von E-Scootern nahezu identisch
Das Hauptfenster aller Sharing-Apps wird durch eine Karte der Stadt, in der Sie sich befinden, dominiert. Hier sehen Sie die zur Verfügung stehenden E-Tretroller – sind keine in unmittelbarer Umgebung, können Sie in der Karte hin- und herwischen sowie mit den Fingern rein- und rauszoomen.
Ein Tap auf einen gefundenen Roller zeigt Ladestand, Fahrpreis und die Roller-ID. Mithilfe der Apps von Lime und Tier können Sie dem Scooter sogar einen Ton entlocken, damit Sie ihn schneller finden.
Über das Fenster erfolgt auch die Ausleihe. Alternativ können Sie bei allen die Ausleihe über das Scannen eines QR-Codes initiieren. Das ist die bequemste und schnellste Option, da Sie nicht auf der Karte nach Ihrem E-Scooter suchen müssen.
Beim Lime-Roller und auch bei Tier und Voi funktionierte die Suche und die Ausleihe, wie sie soll: Die Scooter standen, wo sie stehen sollten. Nach dem Scanvorgang ist der Roller freigeschaltet worden, und es konnte sofort losgehen.
E-Scooter von Circ – bitte nachbessern
Nicht ganz so erfolgreich verlief die Leihe eines Circ-Scooters. Die Odyssee begann mit der Suche nach dem ersten Scooter. Er wurde in der App angezeigt, war aber auch nach zehn Minuten nicht aufzutreiben – muss wohl jemand in den Innenhof gestellt haben, vermuteten wir.
Also erst mal mit dem Leihbike weiter zum Termin. Auf der Rückfahrt folgte der zweite Anlauf. Wieder war der in der App versprochene Roller nach minutenlanger Suche nicht ausfindig zu machen. Und wieder aufs Rad.
Nachdem wir endlich zwei der heiß begehrten Circ-Scooter an prominenter Stelle entlang der Route ausfindig gemacht hatten, folgte gleich die nächste Herausforderung, die allem Anschein nach mit dem ersten Problem zusammenhängt. Nach dem QR-Code-Scan teilte die App nach ein paar Bedenksekunden mit, der Tretroller könne nicht ausgeliehen werden, da das Fahrzeug „zu weit weg“ sei.
Da liegt der Hase im Pfeffer: Der Circ-App zufolge soll der Roller einige Kilometer weit weg geparkt sein. Dass der Scooter nicht in der App entriegelt wurde, sondern über den QR-Code, ist dem System egal.
Allem Anschein nach hat der Anbieter noch ein Problemchen mit der zeitnahen Synchronisierung der Standortdaten. Das ist ärgerlich und führt dazu, dass Roller an Orten angezeigt werden, an denen sie nicht mehr sind oder sie nicht entriegelt werden können, da sie noch an einem anderen Standort geortet werden, an dem sie nicht mehr sind.
Mehrere Meter weiter stand dann ein Roller mit korrekten Standortdaten. Hier gelang dann auch die Entleihung problemlos. Allerdings dauerte es eine Weile, bis die entsprechende Info in der App geladen wurde.
Das kann schneller gehen. Angesichts dessen, dass die Scooter in Berlin noch keine Woche in Betrieb sind, hoffen wir, dass Circ seine Problemchen noch in den Griff bekommt.
Und wie fahren die E-Scooter sich?
Die Fahrt mit allen Scootern macht Spaß: Losgefahren wird mit einem ersten Antritt und Druck auf einen kleinen Hebel an der rechten Lenkerseite – erst dann wird der Elektromotor aktiviert. Auf der linken Lenkerseite sind jeweils eine Klingel und ein Bremshebel zu finden.
Beim Lime- und Voi-Roller befindet sich die zweite, in Deutschland vorgeschriebene Bremse, am Hinterreifen, die sich per Fuß betätigen lässt, wie früher bei Kinderrollern. Bei Circ und Tier sitzt die zweite Bremse wie bei Fahrrädern an der Lenkstange und bietet unserem Empfinden nach mehr Kontrolle über das Gefährt.
Apropos Kontrolle: Wir legen Ihnen nahe, stets beide Hände am Lenker zu haben, denn mit nur einer Hand kann es aufgrund der kurzen Lenker und kleinen Reifen schneller auf die Nase gehen, als einem lieb ist.
Der Umstand, die Hand nicht vom Lenker nehmen zu können, hat einen weiteren Nachteil: Denn so können wir den anderen Verkehrsteilnehmern hinter uns nicht signalisieren, dass wir abbiegen wollen. Wäre der Roller stabil genug, könnte man immerhin ein Linksabbiegen anzeigen.
Das Wedeln mit der rechten Hand zum Rechtsabbiegen ist hingegen unmöglich, da man dann den „Gashebel“ loslassen müsste, dadurch an Geschwindigkeit verlieren und den Verkehrsfluss ausbremsen würde oder gar fallen könnte. Wirklich ideal ist das Ganze nicht.
Als E-Scooter-Fahrer fühlt man sich wie ein Alien
Bei der Fahrt durch den trubeligen Berliner Straßenverkehr hat man durch die Bauhöhe der Scooter einen erhabenen Blick über die Autodächer, was eine gewisse Vorausschau ermöglicht, sodass man im Falle der Fälle schnell abbremsen kann. Als E-Scooter-Fahrer fühlt man sich zudem teilweise wie ein Exot oder Alien – von manchen Passanten und Verkehrsteilnehmern wird man mit seinem neuen Gefährt bestaunt – aber geduldet.
Trifft man auf E-Scooter-Fahrer – gewissermaßen Partner-in-Crime –, kommt es nicht selten zu einem anerkennenden Nicken oder Zwinkern. An Ampeln, umringt von Radfahrern, sollte man besser gut auf seine Füße aufpassen – denn hier fühlt man sich trotz Fahrzeug beinahe wie ein Fußgänger. Beschwerden oder abfällige Bemerkungen gab es während der Fahrten (noch) keine.
Der Fahrkomfort der Scooter ist auf asphaltierten oder eben gepflasterten Radwegen angenehm – er gleitet nur so dahin. Sobald aber Unebenheiten auftreten – in Berlin keine Seltenheit – oder man eine Nebenstraße mit Kopfsteinpflaster durchfährt, ist Festhalten angesagt.
Die zehnzölligen Vollgummireifen übertragen jeden Schlag direkt auf die Füße, die Federgabeln der Scooter am Vorderrad haben keinerlei Effekt. Brillenträger sollten ihre Brille bei diesen Strecken besser gut festhalten, riet ein Tourist, der gleichzeitig mit uns einen Roller ausleihen wollte.
Maximalgeschwindigkeit von E-Scootern
Die in Deutschland vorgeschriebene Maximalgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern ist nach dem anfänglichen Antreten und dem Druck auf den Beschleunigungshebel binnen Sekunden erreicht. An der Ampel hat das einen positiven Effekt, denn beim Umspringen auf Grün schiebt man sich dank der zügigen Beschleunigung schnell vor die Masse der Radfahrer.
Der Vorsprung ist aber nur von kurzer Dauer, denn es ist nicht selten, dass Radfahrer mit mehr als 20 Kilometern pro Stunde durch die Stadt düsen. Freunde des zügigen Fahrens dürften mit dem E-Scooter daher wenig Spaß haben. Wer sich indes eher in moderatem Tempo im Verkehr fortbewegt, wird sicherlich Freude an den neuen Verkehrsmitteln haben.
E-Scooter ideal für kurze Strecken und Touristen
Die Scooter eignen sich ideal für kurze Strecken, etwa um von der Arbeit oder zu Hause zur S-Bahn-Haltestelle zu gelangen, ohne ins Schwitzen zu kommen. Denn im Unterschied zum Fahrrad erfordern die kleinen Gefährte keinerlei Kraftaufwand.
Auch für Touristen dürften sie eine willkommene Möglichkeit sein, um mehr von der Stadt zu sehen und spontan an interessanten Orten und Sehenswürdigkeiten haltzumachen, ohne sich sonderlich zu verausgaben. Zum Einkauf lassen sie sich auch nutzen, man benötigt allerdings einen Rucksack, um seine Lebensmittel nach Hause zu befördern.
Die Scooter besitzen keinerlei Körbe oder Gepäckträger. Die vollen Einkaufsbeutel am Lenker zu transportieren, dürfte eine Herausforderung sein, die aus Sicherheitsgründen nicht unbedingt empfehlenswert ist.
E-Scooter abstellen – aber richtig, bitte!
Nach erledigter Fahrt empfehlen die Scooter-Anbieter in ihren Apps, einen Parkplatz zu suchen, der niemanden behindert. Das bedeutet: Stellt sie nicht mitten auf den Bürgersteig und nicht in Einfahrten. Durch diese ignoranten Verhaltensweisen haben die E-Scooter in einigen Ländern einen schlechten Ruf.
Lime hat das sogar zum Anlass genommen, Fahrer aufzufordern, nach dem Abstellen ein Foto ihres Scooters zu machen. Mehr noch: Als eine Art Erziehungsmaßnahme hat Lime zur spielerischen Sensibilisierung sogar ein Spiel mit dem Titel „Geparkt oder nicht“ in die App gebaut. Nutzer können darin die Parkposition der anderen Lime-Kunden bewerten. Aber ob das wirklich hilft?
E-Scooter-Sharing ist spaßig, aber teuer
Wie sich die Scooter-Situation in den Städten entwickelt, bleibt abzuwarten. Bislang haben die Anbieter noch nicht ihren vollen Fuhrpark auf die Städte losgelassen. Letzten Informationen zufolge ist mit mehreren Tausend Rollern pro Stadt zu rechnen. Dabei müssen nicht nur die Anbieter zusehen, dass die Städte nicht chaotisch zugeparkt werden, sondern auch jeder einzelne Nutzer.
Was den Preis anbelangt, ist eine längere Fahrt nicht sonderlich günstig – pro Stunde fallen um die neun Euro an. Die meisten Nutzer dürften die Roller jedoch nur für kurze Strecken nutzen, die im Schnitt allerdings auch mit um die zwei Euro zu Buche schlagen.
Zum Vergleich: Die Pedelecs von Uber-Tochter Jump kosten zehn Cent die Minute, für die Fahrräder von Nextbike oder Call-a-Bike wird ein Euro pro halbe Stunde fällig. Das ist deutlich günstiger, sie machen aber auch weniger Spaß.